Seite:Friedrich Bauer - Christliche Ethik auf lutherischer Grundlage.pdf/85

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

dieser Gesetzgebung, die Substanz ist geblieben, daß nämlich der Christ eigentlich nicht Eigentümer, sondern nur Haushalter über die Güter Gottes ist, daß er nicht mit purer Willkür über dieselben schalten und walten kann. Hingefallen ist die Bestimmung, daß man an den vier Ecken des Ackers für die Armen etwas stehen lassen soll; aber der Grundgedanke ist geblieben: der Grundsatz der Barmherzigkeit; dieser steht fest, die Formen sind dahingefallen.

 Den Strafbestimmungen des bürgerlichen Gesetzes liegt zu Grunde der Grundsatz des schon genannten jus talionis. Dieser Grundsatz ist die Grundlage des Kriminalrechtes. Die Anwendungen aber im einzelnen Falle sind hinfällig, z. B.: daß der ungeratene Sohn gesteinigt werden soll.

 Die Heiratsgebote und Verbote, die man sonst, wenn man auch alle übrigen für abgeschafft erklärte, herüberzunehmen pflegte, sind auch nicht unvermittelt herüberzunehmen. Die Heiratsgebote beziehen sich ja zum Teil aus den Besitz des heiligen Landes, z. B. die Leviratsehe. So gehören auch diese Heiratsgebote zum bürgerlichen Gesetz; sie gelten, soweit sie kenntlich nur temporäre Verhältnisse regelten, uns nicht mehr. Doch bleibt der Grundsatz, daß in nahen Verwandtschaftsgraden nicht geheiratet werden darf. Desgleichen ist, was als ein von den Kanaanitern getriebener Greuel, um dessentwillen sie vertrieben werden, bezeichnet wird, allgemein verboten, 3. Mos. 18, 24–30; c. 20, 22.

 So sind also die den einzelnen Bestimmungen zu Grunde liegenden Gedanken und Anschauungen, soweit sie allgemein anwendbar sind, maßgebend für alle Zeiten, und es steht diese Gesetzgebung da als ein hohes Ideal für alle Zeiten und ihre einzelnen Bestimmungen zeigen, wie der göttliche Geist alle menschlichen und irdischen Beziehungen durchdringt. Selbst die theokratische Verfassung, welche das Ideal eines Staatslebens ist, aber nur für das Volk Israel paßt, ist im gewissen Sinn maßgebend geworden für das Staatsleben vieler christlicher Völker und darf es sein, wenn sie als freie Nachahmung und Nachbildung gefaßt wird, nicht als von Gott geboten. Darill hat die alte Kirche und auch die lutherische Dogmatik und Ethik gefehlt (cf. Bauers Bemerkung zu Hunnius § 267). Die Durchführung dieser Gesetze von den eigentlich dazu Berufenen ist durch Zerstörung des israelitischen Staatswesens unmöglich gemacht infolge eines göttlichen Gerichtes.

 Noch ist zu bemerken, daß eine außerordentlich große Strenge, die fast als übertriebene Härte erscheint, bei den alttestamentlichen