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§ 34.
Beschränkte Erfüllbarkeit des Gesetzes.

 Für die sittliche Erkenntnis läßt sich also aus dem Gesetz ein großer Gewinn holen. Ganz anders steht es, wenn auf den Menschen nichts anderes wirkt, als das Licht des Gesetzes, mit der Erfüllung des Gesetzes; dazu gibt das Gesetz keine Kraft, die muß anderwoher kommen, Gal. 3, 21. Zwar kann der Mensch mit natürlichen Kräften einigermaßen das Gesetz erfüllen (Conf. Aug. XVIII) namentlich einzelne Gebote, Röm. 2, 14; ja er kann es durch Übung zur Fertigkeit in einzelnen Seiten der Pflichterfüllung bringen, in einem gewissen Sinn sogar alle Gebote erfüllen wie der reiche Jüngling, Matth. 19, 18–20. Er kann eine gewisse Untadeligkeit erlangen, Phil. 3, 6. Es gibt also eine justitia civilis und sie hat vortreffliche Erscheinungen hervorgebracht, man kann in Melanchthons Lob einstimmen, der sie „schön findet wie den Morgenstern“. Aber das gilt alles nur von der Peripherie des Gesetzes und ist eine Gleichförmigkeit der äußeren Handlungen (teilweise auch selbst der Gesinnung) mit dem Gesetz. Aber die höchste Anforderung des Gesetzes, der Geist desselben, die Seele desselben: die Liebe zu Gott und Menschen, muß dabei außer Ansatz bleiben. Dahin reicht die menschliche Kraft nicht. Und weil das göttliche Gesetz ein Ganzes ist, so ist eine teilweise Erfüllung keine, und eine unvollkommene auch keine, Jak. 2, 10. 11; Röm. 2, 13; Gal. 3, 10; Deut. 27, 26. Der Gehorsam, die Gerechtigkeit, die Tugend, die dem natürlichen Menschen erreichbar ist, muß als eine gesetzliche bezeichnet werden, und die Werke, die er thut, bezeichnet die Schrift als Werke des Gesetzes Röm. 3, 20, weil er sie nur äußerlich thut, gezwungen und gedrungen, ausgepreßt vom Gesetz, aus Furcht vor Strafe oder um des Lohnes willen, während die innerste Herzensneigung dem Guten und Gott abgeneigt und feind ist; daher die Ohnmacht und Kraftlosigkeit zum Guten, ja die Unmöglichkeit etwas wahrhaft Gutes und Gottwohlgefälliges zu thun, Röm. 8, 3. 7; cf. die Reformationslieder: „Nun freut euch lieben Christen gemein etc.“ oder: „Es ist das Heil uns kommen her etc.“ Diese Ohnmacht kann das Gesetz nicht heben, es kann nicht lebendig machen, nicht den Geist geben, Gal. 3, 21. Darum heißt das Gesetz in der Schrift ein Buchstabe (eine dem Menschen äußerlich gegenüberstehende Forderung bei innerlicher Entfremdung), 2. Kor. 3, 6. 9.