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er sich beugen muß, Röm. 8, 15 – noch mehr aber durch die Vorwürfe seines erwachten Gewissens, oder eigentlich durch die Anklagen des Gesetzes, die er als vollkommen begründet anerkennen muß, sodaß er genötigt ist, sich selbst zu richten und zu verdammen, 2. Tim. 1, 7; Hebr. 2, 15; 1. Joh. 4, 18, welche Furcht zum Schrecken sich steigert (terrores conscientiae), wenn das Gesetz den Zorn Gottes fühlen läßt, Röm. 4, 15 (es wirkt den Zorn Gottes). In diesem peinlichen Zustand wird der Stolz des Menschen gebrochen, er wird innerlich zerstoßen und zermalmt, zerknirscht (contritio), Ps. 51, 19. Ja, das Gesetz wirkt Verzweiflung (tötende Kraft des Gesetzes, Röm. 7, 11; 2. Kor. 3, 6 als einer Predigt der Verdammnis), die Traurigkeit der Welt, 2. Kor. 7, 10, wenn nicht zugleich das Gemüt im Glauben auf Christum, den Helfer, gerichtet wird, wofür die Sehnsucht und das Verlangen vorbereitend ist, deshalb heißt das Gesetz ein Zuchtmeister (Erzieher, παιδαγωγός) auf Christum, Gal. 3, 24. So erst hat das Gesetz seine erziehende Absicht erreicht. Im Schmerz der Buße wird die Lust zur Sünde ertötet, wenigstens ein Anfang dazu gemacht und die Seele fängt an zu genesen und zu gesunden. In der richtigen Selbsterkenntnis (was schon Sokrates als den Anfang aller Weisheit preist: γνῶθι σεαυτόν) und in der Wendung der Seele vom Bösen zum Guten liegt auch der Anfang zur Herstellung des göttlichen Ebenbildes im Menschen, und das Gesetz hat hier seinen bestimmten Anteil an diesem Werke; es kommt die göttliche Gerechtigkeit im menschlichen Geiste zu ihrer Anerkennung und Geltung und tritt in bestimmten, bewußten Gegensatz zur Sünde. Der Mensch lernt im Lichte des Gesetzes die Sünde verdammen, wie sie die göttliche Gerechtigkeit verdammt.


V.
Das göttliche Ebenbild verwirklicht in der Person Jesu Christi.


§ 36.
Verwirklichung des göttlichen Ebenbildes und Voraussetzung derselben.

 Was dem Gesetz unmöglich war, nämlich das Ebenbild Gottes im Menschen wiederherzustellen, die gottgewollte Idee des Menschen zu verwirklichen, das that Gott, indem er seinen Sohn sandte und ihn menschliche Natur annehmen ließ. So ist in der Person Christi das