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wirklich, daß der menschliche Wille sich in ihm bethätigt; man sieht, wie er z. B. in Gethsemane in Spannung tritt mit dem göttlichen Willen, aber es ordnet sich der menschliche dem göttlichen Willen unter und folgt ihm in allen Stücken. Nur insofern ist seine menschliche Natur von der unsern verschieden, als sie nicht mit der Erbsünde befleckt ist. Seine Empfängnis ist eine heilige und unbefleckte, daher der Engel sagt: „Das Heilige, das von dir geboren wird etc.“ Seine Zeugung ist anders als die auf dem Weg der Natur. Wenn auch vom Weibe geboren, so ist er doch nicht durch den Willen eines Mannes, sondern durch den heiligen Geist in dieses leibliche Dasein getreten, durch eine schöpferische Wirkung des heiligen Geistes, aber geboren von einer Jungfrau, also doch ein Glied in der Kette der Menschheit, aber ein reiner und tadelloser Mensch.

 3. Weil er aber nun zugleich Gott war, so ist eine menschliche Entwicklung nicht denkbar, ohne daß die Gottheit zurücktritt, daß die Gottheit sich auf das äußerste beschränkt, d. h. daß er sich des Gebrauchs der göttlichen Eigenschaften entäußert, außer in einzelnen Fällen, wo er sich von seinem Vater berechtigt und bevollmächtigt wußte, seine göttliche Macht leuchten zu lassen und zu gebrauchen. Es würde keine intellektuelle Entwicklung möglich gewesen sein, wenn die Gottheit nicht zurückgetreten wäre; denn wenn er vermöge Wirkung seiner Gottheit auch als Mensch schon alles wußte, wie hätte er zunehmen können an Weisheit? Ebensowenig wäre eine ethische Entwicklung möglich gewesen, wenn die Gottheit für dieselbe nicht durch Zurücktreten Raum geschafft hätte; denn Gott ist der Heilige, der nicht sündigen kann, für den es keinen Kampf, keine Mühe und kein Streben nach Vollkommenheit gibt, weil die Vollkommenheit seine Natur ist, weil sie ihm als ewiger Besitz eignet. Namentlich wo es gilt, ethische Aufgaben zu leisten, sehen wir die Gottheit hinter der Menschheit zurücktreten. Da steht die menschliche Natur im Vordergrund (Versuchung und Gethsemane). Die größte sittliche Leistung ist der Ausspruch: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“ Diese willige Übernahme des Leidens ist Sache der menschlichen Natur, wobei die göttliche Natur freilich nicht ausgeschlossen ist, sie gibt dem Thun des HErrn den unendlichen Wert.


§ 37.
Das göttliche Ebenbild in Christo als sittliche Errungenschaft.

 Das Ebenbild Gottes erscheint in Christo Jesu nicht bloß wie bei Adam als schöpferisch gesetzte sittliche Anlage; sondern auch