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an den großen Festen seines Volks, an den Wallfahrten nach Jerusalem, so daß, wenn er einmal nicht erscheint, seine Abwesenheit als ein Ereignis bemerkt und besprochen wird. Joh. 7, 11 ff. Er beobachtet den Sabbath. Er hält mit Schonung, mit Pietät diese bereits veralteten und überlebten Formen, diese alten Schläuche, die der neue Most des Christentums sprengen sollte, noch fest, wiewohl er ja weiß, daß mit ihm ein Neues kommt. Er sendet die Aussätzigen zu den Priestern, und erkennt damit die Stellung und göttliche Prärogative derselben an. Er feiert noch am letzten Tage seines irdischen Lebens mit seinen Jüngern das Passah. In diesem Anschluß an die religiöse Gemeinschaft ist er uns ein Vorbild unseres kirchlichen Verhaltens; ebenso aber auch in dem, was er thut, um die religiöse Gemeinschaft aus ihrem Verfall zu erheben, reformatorisch in ihrer Mitte aufzutreten (Tempelreinigung). – Es kann übrigens die ganze öffentliche Thätigkeit des HErrn auch vom Standpunkt des Patrioten betrachtet werden: sein Verhalten ist das eines wahren Vaterlandsfreundes und Volksgenossen, der das wahre Wohl seines Volkes in der vollkommensten Weise sucht. Matth. 23, 37–39; Joh. 11, 51 und 52; Luk. 19, 41. Er vergaß aber über dem eigenen Volk die andern Völker nicht. Joh. 12, 32.

 Was sein Verhältnis zu der ersten natürlichen Gottesordnung der Familie anbelangt, so erscheint er zunächst in dem Verhältnis des Kindes zu den Eltern. Die Haupttugend, die in diesem Verhältnis erzeigt werden kann, die Tugend des Gehorsams, wird von ihm ausdrücklich gerühmt. „Er ging mit seinen Eltern hinab nach Nazareth und war ihnen unterthan“ – ein einziges Wort über seine ganze Jugend bis zum dreißigsten Jahr, aber dies eine Wort verklärt die ganze Zeit und gibt uns eine Ahnung und Vorstellung von der Heiligkeit seiner Jugend, Luk. 2, 51. Er ist ein liebender Sohn seiner Mutter, er vergißt und verläßt sie auch im Sterben nicht, er sorgt für sie, indem er sie seinem Jünger Johannes empfiehlt, Joh. 19, 27.

 Wir sehen ihn auch bei verschiedenen Gelegenheiten in einer Art geschwisterlichem Verhältnis. Es werden ja Brüder des Herrn genannt, und wenn es auch wahrscheinlich ist, daß dies nur Vettern (?) sind, so leben sie doch mit ihm und seiner Mutter näher zusammen und geben ihm gar manches zu tragen, durch Ansprüche, die sie an ihn machen, durch die thörichten irdischen Messiaserwartungen, die sie gern durch ihn verwirklicht sehen möchten. Aber er verhält sich auch ihnen