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will die Gedanken der modernen Zeit dadurch überwinden, daß sie schlankweg ihr Recht verneint und sie als gottlosen Irrtum brandmarkt; durch ihre Organisation sucht sie die Masse bei ihrer Gemeinschaft festzuhalten und ihre Wissenschaft und ihren Klerus zu der alten Philosophie des Thomas Aquinas zurückzuführen, damit beide, in diesem scholastischen Dom untergebracht, ohne Verständnis für die Bauten des jetzt lebendigen Geistes, in ihnen nur flüchtige, leicht abbrechbare Zelte erkennen. Aber so kühn und von römischem Standort aus folgerichtig dies Unterfangen ist, so ist es doch vornherein aussichtslos; es ist ebenso vergebliche Mühe, den gewaltigen Strom der Geschichte in einem kleinen Becken aufzufangen, wie es unsinnig wäre, den Rhein im Bodensee festhalten zu wollen. Und schon regt sich innerhalb des Katholizismus die Erkenntnis über das Unnütze solchen Beginnens. Der katholische Professor Schell in Würzburg steigt in seiner jüngsten Schrift: Die neue Zeit und der alte Glaube, zu der Behauptung auf: „Entweder bekundet das katholische Christentum seine Befähigung, die gewaltige Bewegung der Neuzeit zu leiten und zu befruchten, oder es fällt dem Verdachte anheim, wenigstens irgendwie veraltet zu sein.“ Er citiert zustimmend Aeußerungen des Erzbischofs Ireland, des Vorkämpfers für den Amerikanismus, wie die: „Ich predige den neuzeitlichen Kreuzzug, den herrlichsten aller Kreuzzüge, um Kirche und Neuzeit innig zusammenzubringen, im Namen der Menschheit, im Namen Gottes. Die Kirche und die Neuzeit! Bringt sie zu lebendigem Gedankenaustausch! Ihre Herzen drängen zur Verständigung; der Gott der Humanität wirkt in der neuzeitlichen Welt, der Gott der Offenbarung wirkt in der Kirche, in beiden ist es ein und derselbe Gott, der wirksam ist.“ Das sind fast protestantische Klänge in der römischen Welt, während es andererseits auf evangelischem Gebiet nicht an Tönen katholischer Stimmung fehlt. Ich weise nur darauf hin, wie ernstlich die Hilfe des Staates angerufen wurde, daß er in die theologischen Fakultäten nur Männer berufe, welche die traditionelle Orthodoxie, als die einzig kirchlich und wissenschaftlich berechtigte, vor den Anläufen des neue Bahnen suchenden Geistes schützen, Männer,

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Friedrich Meyer: Die Kirche und die moderne Zeit. Georg Wigand, Leipzig 1898, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedrich_Meyer_-_Die_Kirche_und_die_moderne_Zeit.pdf/11&oldid=- (Version vom 10.7.2016)