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Ganzes aufzeigt; in ihm aber für den menschlichen Geist, der es jetzt schon stückweise, aber doch als einen reichgegliederten Organismus erkennt, eine höhere Stätte aufzusuchen und zu erwarten, kann weder in Widerspruch zur wissenschaftlichen Vernunft gesetzt, noch als eine weltflüchtige Entwertung des Diesseits gedeutet werden, ebensowenig wie eine frühere Kulturperiode um deswillen verächtlich wird, weil aus ihr eine spätere, vollkommenere sich entfaltet.

 Wird sich nach dem Gesagten trotz der angespannten Arbeit für das Diesseits und der höheren Einschätzung seiner Güter das Recht, die Notwendigkeit und der Segen der Kirche besser als je erweisen, so gilt manchen ihre Existenz gefährdet durch das veränderte Weltbild, welches die Naturwissenschaft zeichnet. Da herrscht unter einem eisernen Kausalitätsgesetz ein lückenloser Zusammenhang, ein undurchbrechbarer Mechanismus, der für die Freiheit des göttlichen Geistes und sein teleologisches Wirken unzugänglich galt; da scheint es, als sei der Glaube an den Gott, der in der Leitung seines Reiches und zur Hilfe der Seinen Wunder thut, ebenso verschränkt, wie der stille, weltverborgene Pfad des Gebetes verbaut. Damit aber ist die Kraft des religiösen Lebens lahm gelegt. Es ward manches Klagelied darüber gesungen, wie ich meine, ohne Grund und vor der Zeit. Die Kirche hat schon andere Umwandlungen der Weltanschauung überdauert, als diese. Des Kopernikus Entdeckung, daß die Erde und nicht die Sonne sich bewege, wurde auch im Protestantismus als Ketzerei verdammt, man habe dem Worte Gottes mehr zu glauben, als jenem. Heute wird niemand mehr das Kopernikanische System als unverträglich mit dem Christentum bezeichnen.

 Und für dieses glätten sich schon die sturmbewegten Wogen der modernen Wissenschaft zu sicherer Fahrt. Ich erinnere nur daran, daß die materialistische Weltbehandlung immer mehr als heuristisches Prinzip der Forschung, aber als unzureichend zur Erklärung des gesamten Alles, insbesondere der innern Seite desselben aufgefaßt wird; daß die neu auflebende Philosophie dem Geist und seinen Zielen freie Bahn durch die Welt lichtet, daß ein Mann wie Lotze, wahrlich

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Friedrich Meyer: Die Kirche und die moderne Zeit. Georg Wigand, Leipzig 1898, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedrich_Meyer_-_Die_Kirche_und_die_moderne_Zeit.pdf/14&oldid=- (Version vom 26.11.2016)