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könnet ihr nichts thun, das Wort des Meisters klingt über die gesamte Entwicklung bis zum Ende hin. Der unvergleichliche und unersetzliche Wert unsers Herrn ist unabhängig von den wissenschaftlichen Versuchen, sein Wesen zu deuten, dessen letzter Grund den Pilgern im Lande des Glaubens ein Mysterium bleiben wird. Und wenn schon in dem „Logos“ des Johannes, im „himmlischen Menschen“ des Paulus, in dem „empfangen vom heiligen Geist“ bei Matthäus an verschiedener Stelle der Schlüssel zu dem Verständnis Jesu gesucht wird, so ist mir dies, wie die ganze folgende Christologie, der Beweis, daß der christliche Geist jederzeit nach der höchsten, ihm erreichbaren Formel greift, um in ihr Wesen und Würde des Erlösers zu bezeichnen. Einzigartig ist der Eindruck, den seine Person auf seine Apostel gemacht hat; dieser ist der feste geschichtliche Boden, von dem die wissenschaftliche Forschung auszugehen hat, um schließlich doch stets zu der Anerkennung des paulinischen Wortes zu kommen: Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit ihm selber. Und wie immer diese Thatsache dem jeweiligen wissenschaftlichen Bewußtsein zu vermitteln gestrebt wird, das religiöse Interesse haftet daran, daß Jesus der Weg, die Wahrheit und das Leben ist, und daß niemand zum Vater kommt, denn durch ihn. Dies Evangelium von Christo ist es, mehr als alle wechselnde Lehre über ihn, was die Kirche erhält und baut; dies in den Vordergrund zu stellen, scheint mir vor allem nötig in einer Zeit, die der früheren theologischen, aus anderem Erkenntnisboden gewachsenen Fassung fremd und darum zweifelnd gegenübersteht, und die durch ihren Mangel an richtiger religiöser Erkenntnis des Christentums, vor allem auch der Rechtfertigung durch den Glauben, den Beweis liefert, daß die alte dogmatische Behandlung Christi in Kirche und Schule es nicht vermocht hat, unserm Geschlecht die Person Jesu zum innerlichen Faktor seines Glaubens und Lebens zu geben. Jede Reformation der Kirche, auch die Luthers, leitet sich ein und vollzieht sich durch eine Reduktion dessen, was bis dahin als wesentlich für die Religion, für die Erlangung des Heils angesehen wurde. Unsere Kirche wird die Gegenwart wieder gewinnen und die Zukunft

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Friedrich Meyer: Die Kirche und die moderne Zeit. Georg Wigand, Leipzig 1898, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedrich_Meyer_-_Die_Kirche_und_die_moderne_Zeit.pdf/18&oldid=- (Version vom 24.7.2016)