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in den Kreis unsrer Beratungen ziehen; immer wird es uns anliegen, daß unsre Gemeinden in lebendiger Mitthätigkeit sich ausbauen, daß ihre Stimme in der Gesamtvertretung zur Geltung gelange und daß unsere sächsische Landeskirche als frisches Reis am Baume der evangelischen Kirche grüne.

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 Die gegenseitige Aussprache und Verständigung über das, was die Gegenwart und unsre Kirche in ihr bewegt, wird die Hauptaufgabe unsrer Konferenz für ihre ersten Zeiten sein. Ich fürchte nicht, ich hoffe, daß es zu lebhaften Auseinandersetzungen unter uns kommt, denn es berühren sich unter uns verschiedene Richtungen, es werden Alte und Junge zusammentreffen. Und wenn ja einmal die Geister schärfer aufeinander platzen als es unsrem sonstigen friedlichen Stillleben entspricht, so wollen wir dies aus dem zweiten, oft übersehenen Charakterzug unsres Stammes entschuldigen, den Treitschke in seiner deutschen Geschichte (Bd. 3, 493 f.) meisterhaft schildert. „Die norddeutschen Nachbarn hatten schon in Luthers Tagen das ungerechte Sprichwort aufgebracht: ein Meißner, ein Gleißner. Und doch liegen im Charakter dieser Mitteldeutschen Jähzorn und Wohlwollen, Kraft und Feinheit dicht beisammen. Vielleicht kein anderer Stamm im leidenschaftlichen Deutschland zählt so viele stürmisch aufbrausende Naturen wie der obersächsische. Unter der Unzahl begabter Männer, die er der Nation geschenkt hat, finden sich gar viele von milder, weicher, nachgiebiger Liebenswürdigkeit, aber daneben auch von jeher ebensoviele geborene Kämpfer, die in natürlichem Rückschlage ihr stolzes Ich mit leidenschaftlichem Trotze durchsetzen, kraftstrotzende Vertreter des germanischen Freimuts. So standen einst nebeneinander der friedfertige Leibnitz und die beiden unbändigen Störenfriede Pufendorf und Thomasius, so in der friedericianischen Zeit zwei typische Gestalten, dort Gellert, hier Lessing, so wieder in den napoleonischen Tagen, dort die glatten Diplomaten des Rheinbundes, hier Fichte und Theodor Körner, so noch in der neuesten Zeit unter den Gelehrten dort Lotze, hier Moritz Haupt, unter den Künstlern dort Rietschel und Ludwig Richter, hier Richard Wagner, immer in den mannigfaltigsten Formen derselbe auffällige Gegensatz und bei allen doch unverkennbar die gleiche

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Friedrich Meyer: Die Kirche und die moderne Zeit. Georg Wigand, Leipzig 1898, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedrich_Meyer_-_Die_Kirche_und_die_moderne_Zeit.pdf/24&oldid=- (Version vom 26.11.2016)