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Friedrich von Rath: Hexenprozesse. In: Morgenblatt für gebildete Leser. Band 38, Nr. 233–267

eine Masse der ungeheuerlichsten Mährchen aufgetischt; W. Tell erscheint dabei unter den höllischen Freischützen. – Der dritte Theil handelt vom gerichtlichen Verfahren; der altdeutsche Anklageprozeß wird verworfen, die Denunciation dagegen eingeführt, und zwar so, daß der Denunciant sich nicht zur Beweisführung für das Ganze verpflichtet, sondern nur die Wahrheit seiner Aussagen beschwört, welche nur auf einzelne Indicien, bösen Ruf etc. gegründet zu seyn brauchen.

Auf dieses unsinnige, im Jahr 1487 erstmals gedruckte Buch ist der ganze Hexenprozeß, der unzähligen Menschen das Leben gekostet hat, gegründet. Viele gelehrte Männer bearbeiteten von jezt an das gehörig vorbereitete Feld, unter welchen sich vor Allen auszeichnete der lotharingische Geheimerath Nicolaus Remigius, der sich gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts rühmte, an 900 Personen als Hexen verbrannt zu haben, und der Löwensche Professor und Jesuit Del Rio, der 1608 starb. Er war der bei weitem gelehrteste und schlaueste aller Hexenfeinde, und stellte unter andern das Leugnen des Hexenglaubens als eines der schwersten Indicien auf.

Es muß jedoch hierbei ausdrücklich bemerkt werden, wie dieser Greuel nie eine solche Höhe hätte erreichen können, wenn nicht gerade um diese Zeit, nämlich zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, das altdeutsche Recht und die Oeffentlichkeit des Gerichtsverfahren von dem römischen Rechte und dem damit verbundenen geheimen Verfahren verdrängt worden wäre. Mit welchem Widerstreben des Volks eine solche Umwälzung durchgeführt wurde, gehört nicht hierher; ich gedenke hier nur des vierten Artikels der von den in Schwaben und Franken aufgestandenen Bauern entworfenen Verfassung, welcher hinreichend diesen Widerstand beweist. Jezt ward das Recht nicht mehr gefunden und gesprochen von den vom Volke erwählten Rechtsfindern und Rechtsprechern, sondern von den von der Herrschaft gesezten Richtern. Diese wurden nur zu bald die ärgsten Landplagen des Volks, und nur durch das jezt eingeführte heimliche Verfahren wurden die Hexenprozesse in ihrer ganzen Scheußlichkeit möglich. In der Brust der damaligen gelehrten Diener der Themis lebte kein menschliches Gefühl, in die Hände solcher Fühllosen wurde die Folter als Ergänzungsmittel der Wahrheit gelegt, und dabei die Art ihrer Anwendung, über welche ohnehin nur wenige gesetzliche Bestimmungen vorlagen, größtentheils der Willkühr jener Unmenschen preisgegeben.

In dem tüchtigen Werke, „Bayerns Kirchen- und Volkszustände“ erzählt Sugenheim ein gräßliches Beispiel der Trüglichkeit der auf der Folter erpreßten Geständnisse. Im Jahr 1518 hatten vier Bösewichte in Pommern viele Kirchen beraubt und mehrere Mordthaten begangen; bevor man nun der wirklichen Verbrecher habhaft werden konnte, wurden 124 Menschen, unter ihnen 3 Priester, 17 Küster, 80 Männer, 18 Frauen und 6 Jungfrauen, die sämmtlich unschuldig und nur durch die Folter zum Geständniß, als seyen sie die Thäter gewesen, gebracht worden waren, nach gutem Urtheil und Recht hingerichtet.

Nur wenige Bemerkungen mögen jezt noch über den gewöhnlichen Gang der Hexenprozesse folgen. Zauberei war ein vom gewöhnlichen Gerichtsverfahren ausgenommenes Verbrechen, folglich der Richter nicht verbunden, sich genau an die sonst vorgeschriebenen Formen und Grundsätze zu halten, auch konnte dieses Verbrechen niemals verjähren. Ein solcher Prozeß konnte sogleich nach bloßen Indicien eröffnet werden, und diese waren zahllos: übler Ruf, Aussagen von Inquisiten auf der Folter, Abstammung von Eltern, die wegen Hexerei hingerichtet worden waren, Androhungen, auf welche schnell den Bedrohten ein Schaden traf, rasch zunehmender Wohlstand etc. Es gab kein Mittel, dem einmal entstandenen Verdachte zu entgehen, und noch weniger ein Mittel, sich den Klauen des Richters zu entziehen, wenn man einmal in sie gefallen war. Von Untersuchung des Thatbestands oder der Möglichkeit der von den Gefolterten einbekannten Unthaten, oder der gegen sie erhobenen Anklagen war nicht entfernt die Rede. So wurden z. B. in Lindheim in der Wetterau i. J. 1667 mehrere Weiber so lange gefoltert, bis sie einstimmig bekannten, ein todtes Kind ausgegraben, zu Brei gekocht und gegessen zu haben. Als es endlich der Beharrlichkeit des Ehemannes einer der Angeklagten gelang, das Grab des angeblich gefressenen Kindes im Beiseyn einer Commission öffnen zu lassen, und da nun der Körper desselben unversehrt vorgefunden wurde, hielt man diesen unversehrten Leichnam für ein teuflisches Blendwerk, und die armen Weiber wurden nichts destoweniger zu Ehren des dreieinigen Gottes als Hexen verbrannt. Ein Angeklagter war jedes rechtlichen Vertheidigungsmittels beraubt, und wurde ihm je ein Vertheidiger erlaubt (in allen von mir gelesenen Akten kommt kein solcher Fall vor), so mußte er sich sehr in Acht nehmen, um nicht selbst in Verdacht zu kommen. Auch hob das auf der Folter erpreßte Geständniß alle Früchte der Defension auf. Auf die leichtesten Indicien hin erfolgte sogleich, gewiß aber im zweiten Verhör, die peinliche Frage, und zwar in der Regel so oft und so lang andauernd, bis das Geständniß erpreßt war; Zurücknehmen desselben zog neue Folter nach sich, festes Beharren darauf verkürzte und milderte wenigstens die Qualen und den in allen Fällen gewissen Tod.

(Fortsetzung folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich von Rath: Hexenprozesse. In: Morgenblatt für gebildete Leser. Band 38, Nr. 233–267. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1844, Seite 935. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedrich_von_Rath_Hexenprozesse.pdf/5&oldid=- (Version vom 1.8.2018)