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Walther Kabel: Gefährliche Probleme. In: Deutscher Hausschatz, 11. Heft, 37. Jahrgang, S. 501–503

überstandenen Entbehrungen und Aufregungen schwindsüchtig wurde und in bitterster Armut starb. – Gewiß, völlig kugelsichere Panzer zum Schutz des einzelnen Mannes gegen die Projektile der Handfeuerwaffen sind mehrfach konstruiert worden. Aber sie sind leider sämtlich unverwendbar, da sie wegen ihrer Schwere und ihres harten Materials den Soldaten an der freien Bewegung der Gliedmassen zu sehr hindern.

Eines der modernsten, aber auch lebensgefährlichsten Probleme ist das der Eroberung der Luft durch von Motoren angetriebene Flugmaschinen. Es erübrigt sich, hierauf näher einzugehen. Die Zahl der Opfer, die die Aviatik seit etwa zwanzig Jahren, soweit datieren die ersten ernst zu nehmenden Versuche auf diesem Gebiet zurück, beträgt nach der neuesten Aufstellung 31, und damit dürfte diese auch eine mehr als deutliche Sprache redende Totenliste noch lange nicht abgeschlossen sein.

Endlich sei hier noch auf ein Problem näher eingegangen, das, solange es noch Spielbanken oder Klubräume mit Roulette- oder Trente-et-Quarante-Tischen gibt, auf viele eine geradezu unheimliche Anziehungskraft ausüben wird. Nachgewiesenermaßen ist es nämlich äußerst schwierig, mit Hilfe der sogenannten ehrlichen Arbeit die nötige klingende Münze zusammenzuscharen, um, was die Sehnsucht der meisten Menschen sein dürfte, ohne die bewußte Arbeit, die ja nur in seltenen Fällen das Dasein wirklich versüßt, in aller Behaglichkeit die vielfachen Freuden und Schönheiten unserer Mutter Erde auskosten zu können. Da zeigt sich denn dem Durchschnittsmenschen nur ein einziger Weg, schnell und mühelos ein Krösus zu werden: das Spiel. – Weniger Bemittelte huldigen dem Lotteriespiel, trotzdem man, wie statistisch berechnet ist, siebenmal eher vom Blitz erschlagen wird, als daß man das große Los in einer noch so günstigen Staatslotterie gewinnt. Mit Glücksgütern etwas reichlicher Versehenen steht außerdem aber noch die Bank von Monte Carlo zur Aufbesserung ihrer Finanzen zur Verfügung. Und die Aufbesserung würden sie auch sicher erreichen, wenn sie … ein System besäßen, nach dem sie ihre Einsätze machen könnten. Ein solches System aber gibt es nicht und kann es auch nie geben, da der Lauf der Roulettekugel lediglich vom Zufall gelenkt wird. Trotzdem haben sich seit Menschengedenken höchst intelligente Köpfe aller Nationen mit dem Problem beschäftigt, wie man den Zufall der Roulettekugel mit Hilfe komplizierter Berechnungen, eben durch ein System, besiegen könne. Dieser Kampf hat vielen Leuten das Leben oder den Verstand gekostet. Denn es handelt sich hierbei um ein völlig aussichtsloses Mühen. Hat doch der Pächter der Bank von Monte Carlo selbst einmal zu einem Bekannten geäußert: „Wenn mir jemand den Nachweis erbringt, daß er mit absoluter Sicherheit täglich auch nur ein einziges Fünffrankstück gewinnen kann, lasse ich die Spielsäle sofort schließen.“

Aber auch diese offen ausgesprochen Überzeugung eines Mannes, der mit den Launen der elfenbeinernen Kugel wohl am besten vertraut sein dürfte, hat nicht ausgereicht, um die Spielsystem-Erfinder endlich ganz abzuschrecken. So tauchte im Jahre 1901 in Monte Carlo eine junge reiche Amerikanerin, eine Waise, in Begleitung einer Gesellschaftsdame auf, die dann drei Monate hindurch Tag für Tag mehrere Stunden am Roulettetisch zubrachte. Auch bei ihr hatte sich schon nach kurzer Zeit die fixe Idee festgesetzt, daß es ein System geben müsse, mit dessen Hilfe man die Bank sprengen könne. Sie spielte stets sehr vorsichtig nur mit den niedrigsten Einsätzen, notierte den Verlauf jedes Spiels ganz genau, erreichte damit aber nur, daß sie nach Verlauf eines Vierteljahres vom Roulettetisch weg direkt in eine Heilanstalt überführt werden mußte, da sie in einem plötzlichen Tobsuchtsanfall dem Croupier an die Kehle gesprungen war. In der Heilanstalt, wo die Kranke nach einer Notiz eines New Yorker Blattes sich noch heute befindet, konnte sie nur dadurch beruhigt werden, daß man ihr ein Roulette beschaffte, mit dem sie sich fortan vom Morgen bis zum Abend beschäftigte. Und diese Amerikanerin ist nur eine von den vielen, die in ähnlicher Weise ihr Nervensystem völlig zerrüttet oder aber nach Verlust ihres diesem unheilvollen Problem geopferten Vermögens Selbstmord begangen haben.

Zum Schluß noch eine andere, allerdings mehr tragikomische Geschichte, bei der auch das berüchtigte „System“ eine Rolle spielte. Im Januar 1895 sprengte ein japanischer Arzt, der sich zu Studienzwecken in Europa aufhielt und einen Abstecher nach Monte Carlo gemacht hatte, dort an vier Abenden hintereinander die Bank. Er gewann mit einer derart verblüffenden Sicherheit, daß er bald zum allgemeinen Tagesgespräch und hie und da sogar geäußert wurde, er müsse fraglos im Besitz eines „Systems“ sein, da niemand andauernd ein derartiges Glück haben könne. Der Japaner selbst verhielt sich allen Fragen gegenüber sehr schweigsam und verstärkte dadurch nur noch mehr die Vermutung, daß er tatsächlich nach einem System operiere. Plötzlich verbreitete sich dann mit jener Blitzesschnelle, mit der in Monte Carlo alle mit dem Spiel irgendwie zusammenhängenden Nachrichten weitergegeben werden, das Gerücht, der Japaner sei unter Zurücklassung seines Gepäckes aus seinem Hotel spurlos verschwunden. Die Polizei nahm, da die Möglichkeit eines Raubmordes nicht ganz von der Hand zu weisen war, sofort die eingehendsten Recherchen auf, ohne damit einen Erfolg zu erzielen. Der Japaner blieb verschwunden. Endlich nach vier Tagen erschien er jedoch mitten in der Nacht wieder in seinem Hotel und wußte folgende abenteuerliche, durch eine sorgfältige Nachprüfung aber in allen Punkten bestätigte Erklärung für seine viertägige Abwesenheit zu geben. Bei einem Spaziergang auf der Straße nach Nizza zu war er von einem Automobil überholt worden, in dem drei maskierte Männer saßen. Diese zwangen ihn mit vorgehaltenen Revolvern, in das Auto zu steigen und eine völlig undurchsichtige, ihn auch unkenntlich machende Automobilistenbrille anzulegen, die ihn daran hinderte festzustellen, wohin er in rasender mehrstündiger Fahrt verschleppt wurde. Erst in einem einfach möblierten Zimmer mit dicht verhängten Fenstern, das, wie später herauskam, zu den Parterreräumen eines einsam liegenden, von einem der Automobilisten für diesen Zweck besonders gemieteten Landhauses in der Nähe von Nizza gehörte, nahmen ihm seine Entführer die Brille ab und bedeuteten ihm, er müsse ihnen sein Spielsystem, mit dessen Hilfe er in so kurzer Zeit gegen eine halbe Million gewonnen hätte, verraten oder aber darauf gefaßt sein, das Haus lebend nicht mehr zu verlassen. Der Japaner beteuerte immer aufs neue, er wisse nichts von einem System und sein seltenes Glück sei nichts als bloßer Zufall gewesen. Man glaubte ihm nicht, drang vielmehr mit allen Überredungskünsten in ihn, um ihn zur Preisgabe des wertvollen Geheimnisses zu veranlassen. Dieses Spiel dauerte vier lange Tage. Während dieser Zeit wurde er auch nicht eine Minute unbewacht gelassen. Stets blieb einer der maskierten Leute bei ihm. Dann endlich schienen diese die Überzeugung erlangt zu haben, daß aus ihrem Gefangenen einfach aus dem Grunde nichts herauszupressen war, weil er tatsächlich von einem unfehlbaren System ebensowenig eine Ahnung hatte wie sie selbst.

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Gefährliche Probleme. In: Deutscher Hausschatz, 11. Heft, 37. Jahrgang, S. 501–503. Friedrich Pustet, Regensburg, Rom, New York, Cincinnati 1911, Seite 502. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gef%C3%A4hrliche_Probleme.pdf/3&oldid=- (Version vom 1.8.2018)