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Sein Grimm sollt, den er nur mögt sparen,
Gleichwohl in größe Thiere fahren.

     Der Löw gedachte, daß ihm diese
Nicht viel Respect und Ruhm verhieß,

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Wenn er ein solch klein Thier zerriese,

Und sich sie etwan schmecken ließ,
Drum war er in sich selbst erbötig,
Und ließ sie gleich drauf loß und ledig.

     In wenig Tagen drauf so rennte

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Besagter Löwe durch den Wald,

Er fiel in Strick und Garn behende,
Er brüllte, daß es wiederhallt;
Allein sein Vorsatz blieb dahinten,
Er konnte keinen Ausgang finden.

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     Die Maus hört ihn erbärmlich brüllen,

Lauft zu und kennt ihn an der Stimm,
War er ihr unlängst nun zu Willen
Das sie bemerkte interim,
Kommt sie zum Garn, und sucht die Knöpfe,

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Daß er immittelst Luft nur schöpfe.


     Als sie dieselbe nun gefunden,
So naget sie sie hurtig ab,
Wodurch sie in denselben Stunden
Dem Löwen die Befreyung gab,

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Denn ihm ist alsofort gelungen,

Daß er aus dem Arrest entsprungen.

Ist die Fabel aus dem dreyzehnten oder vierzehnten Jahrhunderte nicht ein rechtes Meisterstück, gegen die Arbeit des neuen Dichters gerechnet? Ich glaube, daß der Leser das alte Schwäbische lieber zehnmal lesen wird, als das neue undeutsche Deutsche einmal. Dort höret man, ungeachtet der rauhen

Empfohlene Zitierweise:
Christian Fürchtegott Gellert: Fabeln und Erzählungen. M. G. Weidmanns Erben und Reich und Caspar Fritsch, Leipzig 1769, Seite XX. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gellert_Schriften_1_A_021.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)