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das ist, die Fabeln Phädri in deutschen Versen, zu Eisenberg herausgegeben hat. Er läßt sich folgendermaßen gar annehmlich und deutlich vernehmen.

     Als ein gewisser Raab den Käß vom Fenster stahl,
Und aß denselben gern auf hohem Baum zum Mahl,
So sahe den der Fuchs, und fieng so an zu reden:
O Raab! wie hast du doch so schöne Feder-Weden!

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Wie herrlich steht dir doch des Leibes-Zierrath an!

Kein Vogel, wenn du sängst, gieng dir im Rang voran.
Allein da sich der Narr zu seiner Stimme schicket,
Verliehrt er seinen Käß, den gleich der Fuchs entrücket,
Und reisset ihn mit List so fein begierig hin,

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Da wurde erst der Raab der List des Fuchses in.

Und also wurde er zum Seufzen erst bewogen,
Daß ihn der schlaue Fuchs so schändlich hat betrogen;
Damit wird angezeigt, was Sinn und Witz vermag,
Und Klugheit halte stets der Tapferkeit die Wag.

Sollte man nicht denken, wenn man von der kraftlosen Art zu erzählen auf die Zeit schließen wollte, in welcher Melander gelebet; sollte man, sage ich, nicht denken, daß er noch einige Jahrhunderte vor unserm Ungenannten sein Werkchen verfertiget haben müßte? Um die Weitläufigkeit zu vermeiden; so will ich nur noch ein kurzes Exempel aus unserm Alten anführen. Ich muß übrigens erinnern, daß man bey ihm nicht lauter äsopische Fabeln, sondern auch Erzählungen antrifft; zum Exempel, die Geschichte der Matrone zu Ephesus, welche die Herren Verfasser der schweizerischen geistvollen Schriften in ihr siebentes Stück eingerücket haben; die Erzählung von dem Fieber und dem Flohe; von dem Vater, dem Sohne und dem Esel, und andere mehr, in welchen

Empfohlene Zitierweise:
Christian Fürchtegott Gellert: Fabeln und Erzählungen. M. G. Weidmanns Erben und Reich und Caspar Fritsch, Leipzig 1769, Seite XXIII. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gellert_Schriften_1_A_024.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)