Seite:Georg Rusam - Grundlagen und Anfänge kirchlicher Organisation an der mittleren Rezat.pdf/8

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

und frühkarolingischen Zeit der Nationalheilige der Franken war und dem die Franken überall, wo sie siedelten, vornehmlich ihre Gotteshäuser weihten. Martins Bedeutung ist in der Folgezeit zwar zurückgetreten, aber durchaus nicht erloschen. Immer wurden ihm Kirchen zum Schutze übergeben, nicht nur im Frankenlande, sondern weit darüber hinaus. Schon der Volksglaube und das Volksbrauchtum im Mittelalter, ja bis herein in unsere Zeit, legt Zeugnis von seiner hohen Verehrung ab. Zwar meint Dr. Weigel, daß wir davon ganz ungenügend unterrichtet seien, und daß die Seltenheit des Vornamens Martin im Mittelalter der Annahme eines verbreiteten und starken Martinskultus widerspräche;[1] allein die Wahl der Vornamen ging durchaus nicht gleichlaufend mit der Heiligenverehrung, sondern hing von der Familientradition, von der Patenschaft und nicht zum letzten von der Mode ab; auch ist die Annahme von Heiligennamen als Vornamen erst im späten Mittelalter recht in Gebrauch gekommen. Als Beleg für das fortgehende Kirchenpatronat St. Martins mag die Ostmark nördlich der Donau, das sog. Mühlviertel, dienen; dort ist erst vom 12. Jahrhundert ab kolonisiert worden, gleichwohl aber treffen wir als Kirchenpatron den hl. Martin neben anderen alten Patronen wie St. Peter und St. Stephan, und gleichzeitig neben den jüngeren Kirchenheiligen St. Nikolaus, St. Oswald, St. Veit u. a. Wir müssen schon damit rechnen, daß auch in unserer Gegend ein Martins-Patrozinium durchaus noch kein Beweis für eine altfränkische Kirchengründung ist, wenn nicht noch gewichtige andere Tatsachen dafür sprechen.

 In gleicher Weise ist das Patronat des hl. Petrus zu behandeln; es ist an keine bestimmte Zeit gebunden, sozusagen „zeitlos“, wie Weigel mit Recht sagt.[2] Dieselbe Stellung nimmt Johannes der Täufer ein, der nach Deinhardt „wohl im 9. und 10. Jahrhundert“ eine Blütezeit der Verehrung erlebte. Ob man in Anschluß an diesen Heiligen mit Weigel ein „Zweikirchensystem“ annehmen darf, einen Dualismus von Tauf- und Seelsorgekirchen, wird von Deinhardt und anderen bestritten.[3] Auch Stephan, der schon früh erscheint, ist erst im späteren Mittelalter recht populär geworden, wie man z. B. in der Pfarrei Sachsen feststellen kann. Andreas tritt um die Mitte des 8. Jahrhunderts auf, hat aber keine allzu große Verbreitung gefunden. St. Michael kommt zwar schon früh vor, sein Kultus gedieh aber erst später; als Totenführer wurde er gern in Friedhofskapellen verehrt.

 Zusammenfassend ist von den alten Kirchenheiligen, denen auch Maria zuzurechnen ist, zu sagen, daß sie nicht an die alte Zeit gebunden sind, sondern auch später immer wieder erscheinen, zum Teil sogar häufiger als im Frühmittelalter.

 Später auftretende Heilige sind der ritterliche Georg, der erst nach 800 allgemeiner bekannt wurde.[4] Dann Nikolaus, einer der Reformheiligen, der im 10. Jahrhundert aus dem Osten auf deutschen Boden verpflanzt wurde und im 11. Jahrhundert seine Blütezeit erlebte; Laurentius, der nach dem am Laurentiustage 955 errungenen Sieg auf


  1. Weigel 16, 23.
  2. Siehe auch Deinhardt 38.
  3. Deinhardt 91 f.
  4. Hauck II, 686.