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Viertes Kapitel.

Es dürfte vielleicht zweifelhaft erscheinen, daß Herr Raymon von Ramière, ein junger Mann von glänzenden Eigenschaften, an die Erfolge im Salon und an vornehme Abenteuer gewöhnt, zu dem Kammermädchen auf einem kleinen Gute eine dauernde Neigung gefaßt habe. Herr von Ramière schätzte die Vorteile der Geburt nach ihrem wahren Werte. Er hatte sogar Grundsätze, wenn er seiner besseren Einsicht folgte, aber er war ein Mann mit ungezähmten Leidenschaften, und wenn diese die Oberhand über ihn gewannen, war er keiner ruhigen Überlegung mehr fähig.

Herr von Ramière war in die junge Kreolin mit den großen, schwarzen Augen, welche bei dem Feste von Rubelles die Bewunderung der ganzen Umgegend auf sich gezogen hatte, verliebt; nichts weiter. An dem Tage, wo er über dieses leicht besiegte Herz triumphierte, kehrte er voll Schrecken über seinen Sieg in seine Wohnung zurück und sagte, sich vor die Stirn schlagend:

„Wenn sie mich nur nicht ernstlich liebt!“

Also erst, nachdem er alle Beweise ihrer Liebe angenommen hatte, fing er an, diese Liebe zu ahnen. Dann fühlte er Reue; aber er ließ sich lieben nach wie vor, er liebte selbst aus Dankbarkeit, er überstieg die Mauern im Park des Herrn Delmare aus Liebe zur Gefahr; aus Ungeschicklichkeit tat er einen furchtbaren Sturz und war vom Schmerz seiner jungen und schönen Geliebten so gerührt, daß er sich in seinen eigenen Augen gerechtfertigt fand, wenn er fortfuhr, den Abgrund zu erweitern, in den sie versinken mußte.

Sobald er wieder hergestellt war, hatte der Winter kein Eis, die Nacht keine Gefahren, das Gewissen keine Stacheln, um ihn abzuhalten, die Kreolin zu besuchen und ihr zu schwören, daß er nie eine andere als sie geliebt hätte, daß er sie allen Königinnen der Welt vorzöge und was der überschwenglichen Beteuerungen

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George Sand: Indiana. Karl Prochaska, Leipzig [u.a.] [1904], Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:George_Sand_Indiana.djvu/19&oldid=- (Version vom 1.8.2018)