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Die Preissymphonie.[1]


1.

Da mancher wache Traum in meinen Aufzeichnungen steht, was sollte ich mich lange besinnen, einen wirklichen nächtigen hinzuzufügen, und hier niederzulegen, daß ich diese Nacht den Preis zu verdienen meinte, den der Wiener Kunstverein auf die beste Symphonie gesetzt hatte.[H 2] Einig war ich mit mir selbst, daß die Wiener Herren Urtheiler diesesmal sich dem neuen in Frankreich blühenden Kunstgeschmacke, der auch hier und da schon in Deutschland zu spuken beginnt, hinneigen würden,[H 3] und daß ich mir desfalls nur diesen anzueignen habe. Im Traume geschieht dies noch viel leichter als im Wachen und nachdem ich geschwinder mich umgegossen als ein anderer nur das Hemde gewechselt, fuhr ich fort: Gluck, der Ritter, als er seine Iphigenia[H 4] schuf, setzte sich auf frischgrüne Wiesenmatten, unter deren Blüthendolden er seine Champagnerflaschen

  1. Des Verständnisses der Recension Nr. 2. halber war es nöthig auch obige von Gottschalk Wedel (A. v. Zuccalmaglio) hier abzudrucken.[H 1]

Anmerkungen (H)

  1. [WS] D.h. die Rezension Paragraph 1 ist von Anton Wilhelm Florentin von Zuccalmaglio. [MK] (S. 140, o.). Schumann hat den Aufsatz Zuccalmaglios nur mit Zögern aufgenommen. Am 18.10. 36 (N. F. S. 80) schreibt er an diesen: „Der Traum über die Preissinfonie ist es, der noch ungedruckt daliegt. Mit einer wahren Trauer sehe ich ihn oft an, so sehr mir vieles darin gefällt, so wünschte ich ihn lieber in ein anderes Blatt, als…" Als er ihn dann aber doch zum Abdruck brachte, hielt er es für nötig, selbst noch dazuzuschreiben. Bezeichnend führte er diesen außerdem noch durch das Goethesche Motto ein: „Ein Kranz ist gar viel leichter binden, Als ihm ein würdig Haupt zu finden.“ II.390.
  2. [GJ] Als im Januar 1835 das Wiener Preisausschreiben erlassen war (Schiedsrichter sollten Eybler, Weigl, Gänsbacher, Gyrowetz, Kreutzer, Seyfried und Umlauf sein) schrieb Mendelssohn an Spohr (8. März): „Die Ankündigung aus Wien war mir interessant; ich hatte noch nichts davon gehört. Sie machte mir wieder das Gefühl recht lebhaft, wie unmöglich es mir sein würde, irgend etwas mit dem Gedanken an eine Preisbewerbung zu componiren — ich käme nicht bis zum Anfange, und wenn man zum Musiker sich müßte examiniren lassen, so bin ich überzeugt, ich wäre von vornherein abgewiesen worden, denn ich hätte nichts halb so gut gemacht, als ich könnte. Der Gedanke an einen Preis oder eine Entscheidung macht mich zerstreut, und dennoch kann ich mich nicht so darüber hinweg setzen, daß ich ihn ganz vergäße. Aber wenn Sie irgend die Stimmung dazu finden, sollten Sie es doch ja nicht unterlassen, eine Symphonie bis dahin zu componiren und einzuschicken, denn ich wüßte nicht, wer Ihnen den Preis unter den Lebenden streitig machen könnte (zweiter Grund), und wir bekämen dann wieder eine neue Symphonie von Ihnen (erster Grund). Ueber die Zusammensetzung des richtenden Ausschusses in Wien habe ich meine Gedanken, die aber nicht recht legitim sind sondern ein wenig rebellisch. Wäre ich die Richter, so bekäme das ganze Comité keinen Preis, wenn sich’s darum bewürbe“. Gegen Hauser sprach Mendelssohn sich noch unverhohlener aus: „In Wien haben sie für die beste Symphonie einen Preis von 50 Dukaten ausgesetzt, und Seyfried, Umlauf und Conradin Kreutzer und Consorten sollen’s entscheiden, lauter Kerls, die keine Symphonie zusammenbringen können, und wenn sie sich drei Jahre kasteiten. Wär’ es ein Comité von den besten Componisten der ganzen Welt, so möcht’ ich auch um keinen Preis concurriren; der bloße Gedanke, daß ich eine Preismusik componirte, machte mich so unmusikalisch wie Umlauf und Seyfried zusammengenommen. Und hätte ich eine Symphonie fertig liegen, so würde ich mich hüten, die hinzuschicken, denn da können die andern Leute drüber urtheilen, und am Ende findet sich’s doch, ob sie was taugt oder nicht. Das ist so eine Art Treibhauscultur, und die 50 Ducaten sind das Mistbeet; ob aber eine Cactus-Symphonie herauskommt, ist die große Frage“. Hanslick „Suite“ S. 33. GJ.I.345.
  3. [GJ] Der ausgesetzte Preis wurde keinem „Neuromantiker“, wie Wedel befürchtete, sondern Fr. Lachner zuerkannt für seine Sinfonia passionata (später als Werk 52 gedruckt).
  4. [WS] Christoph Willibald Ritter von Gluck, deutscher Komponist 1714–1784, Iphigénie en Tauride, seine dramatische Oper in vier Akten von 1779.