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Musikschulen, der Auberschen und dieser, daraus zu sehn. So federleicht scribisch jene, so ungeschlacht polyphemisch diese. Cantoren werden in Ohnmacht fallen über derlei Harmonieen und über Sansculottismus[H 1] schreien. Auch uns fällt nicht bei, die Ouverture etwa mit der Mozartschen zum Figaro vergleichen zu wollen. In der festen Ueberzeugung jedoch, daß gewisse Schulbank-Theoristen viel mehr geschadet als unsre praktischen Himmelsstürmer und daß Protection elender Mittelmäßigkeit viel mehr Unheil angerichtet, als Auszeichnung solcher poetischer Extravaganz, fordern wir zugleich ein- für allemal unsre Nachkommen auf, uns zu bezeugen, daß wir in Hinsicht der Compositionen von Berlioz mit unsrer kritischen Weisheit nicht wie gewöhnlich zehn Jahre hinterdrein gefahren, sondern im Voraus gesagt, daß etwas von Genie in diesem Franzosen gesteckt.[H 2]





II. Concerte für Pianoforte mit Orchester.
E. H. Schornstein, erstes Concert mit Begleitung des Orchesters. 1stes Werk.[H 3]


Auch ohne daß es auf dem Titelblatt stände, wäre der Schüler Hummels zu errathen gewesen. Warum aber solche Zusätze, die nur auf Vergleiche zwischen Lehrer und Schüler führen? Mag es bescheiden sein, so

Anmerkungen (H)

  1. [WS] Daniel-François-Esprit Auber (1782−1871), französischer Komponist, Vertreter des leichten Genres; Eugène Scribe (1791–1861), französischer Dramatiker und Librettist (u.a. für Auber), Modeschriftsteller seiner Zeit; Polyphem, ein Kyklop (oder Zyklop), ein einäugiger Riese der griechischen Mythologie, primitiv, gewalttätig, frisst Menschen; Sansculottes, Bezeichnung für die revoltierenden Pariser Arbeiter und Kleinbürger während der Französischen Revolution.
  2. [GJ] Ein Jahr später wurde die Vehmrichter-Ouvertüre der Gegenstand eines Federkrieges zwischen Lobe und Zuccalmaglio. Lobe veröffentlichte in der Zeitschrift (1837, VI, 147) ein enthusiastisches „Sendschreiben an Hrn. Hector Berlioz“, in welchem er die Ouvertüre als eine „tiefe, originelle, naturwahre, den ganzen Menschen emporwirbelnde Schöpfung“, als „echte Volksmusik“ pries und verkündete, daß in dem Werte „mehr Regeln beobachtet seien, als wir bis jetzt kennen“ u. s. w. Zuccalmaglio schrieb einen Gegenartikel, ein „Sendschreiben an die deutschen Tonkundigen“, trat bei der „Heiligsprechung Berlioz'“ als advocatus diaboli auf und bezeichnete die Ouvertüre als „alltäglich, ja schülerhaft“. Schumann hatte Zuccalmaglios Artikel anfänglich abgelehnt wegen zu großer Länge und weil ihm die Ouvertüre „gar nicht das viele Reden werth scheine“. Darauf kürzte Zuccalmaglio seinen Aufsatz und ersuchte schließlich die Redaktion „um ein entscheidendes Schlußwort“. Schumann schrieb nun folgendes Nachwort:
    „Wo hier anfangen, wo aufhören! Auf der einen Seite ein excentrischer Lobredner, auf der anderen ein gepanzerter Ankläger, der Gegenstand der Schilderhebung ein dem Componisten vielleicht selbst schon entfremdetes Werk! — Wir glauben, alle drei müssen Zugeständnisse machen: Lobe, daß er die einzelnen Schwächen, die ihm bei ruhigem Blute nicht entgehen konnten, verschwiegen habe — Wedel, daß er, ohne die Partitur und ohne das Werk von einem großen Orchester in Vollkommenheit gehört zu haben, sich nicht wohl zutrauen dürfe, einen Eindruck des Ganzen zu besitzen — Berlioz endlich, daß er selbst recht gut wisse, kein Meisterstück, daß sich eben mit Beethovenschem messen könne, geliefert zu haben. So hätten wir es denn mit dem Werke eines achtzehnjährigen Franzosen zu thun, der wenn auch etwas weniger Genie hat, als der Eine, doch auch mehr Schöpferkraft, als der Andere will. Eine genauere Auseinanderlegung der Gründe verlangte abermals [einen] so großen Artikel. Besser, man spiele die Ouvertüre aller Orten, am besten endlich, man mache, anstatt sich über die Jugendarbeit eines wenn auch ungebildeten, immerhin merkwürdigen Talentes zu erhitzen, schönere und die schönsten; und damit sei Eins dem Anderen empfohlen!
    Die Redaction“.

    Ueber Berlioz' künstlerische Ausbildung zu der Zeit, als er die Vehmrichter componirte, sagt F. Hiller („Künstlerleben“ S. 101): „In der ganzen Musikgeschichte findet sich kein zweites Beispiel von einem Componisten, der bis ins neunzehnte Jahr so wenig Musik gekannt und gehört hatte, wie es bei Berlioz der Fall gewesen, — von dem, was Musiker Musik nennen, hatte er kaum eine Vorstellung. Ebenso wenig mag ein anderer mit complicirteren Versuchen begonnen haben als er, — denn nach den Aufführungen, welchen er in der großen Oper beigewohnt, nach dem Studium Gluckscher Partituren, das er mit bewundernder Freude aufgenommen, begab er sich unmittelbar an die Composition größerer Gesangstücke mit Orchester“. — Damit stimmt, was Berlioz selbst in seinen Memoiren über die Vehmrichter-Ouvertüre, seine erste Orchestercomposition, sagt: „Ich war noch so unwissend in Betreff des Mechanismus einiger Instrumente, daß ich, nachdem ich in der Introduction der Ouvertüre den Des dur-Accord für die Posaunen geschrieben, befürchtete, es werde dies den Bläsern die größten Schwierigkeiten bereiten. Aengstlich befragte ich darüber einen Posaunisten der großen Oper, der mich vollkommen beruhigte und mir von dieser Stelle sogar einen großen Effect versprach. Diese Versicherung erfüllte mich mit solcher Freude, daß ich, nach Hause eilend, auf den Weg nicht achtete und mir den Fuß verstauchte. Seitdem thut mir der Fuß weh, so oft ich das Stück höre. Anderen wird vielleicht der Kopf weh thun“. I.340–341. Anmerkung 58.

  3. [GJ] E. Hermann Schornstein, Pianist, * etwa 1811, † 20. April 1882. [WS] Ältester Sohn von Johannes Schornstein (1789–1853), Musikdirektor in Elberfeld dessen Amt er 1854 übernahm.