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ein Mädchen, das über Notenköpfen Hauben- und andere Köpfe vergessen kann, muß zehnmal mehr Grund besitzen zu componiren als wir, die wir’s nur der Unsterblichkeit wegen thun. Unsere Componistin mag aber noch etwas zum Schreiben begeistert haben; sie ist eine Schülerenkelin Mozarts, der Sohn Mozarts nämlich ihr Lehrer, ihre Heimath aber das weitentlegene Lemberg.[H 3] Bei solchen Erinnerungen und an solchem Orte mag es Einen wohl oft traurig überfallen, und ein Winterabend thut das Seinige. Kurz der Flügel wird aufgemacht, der dichterische angelegt, man phantasirt, ohne es zu wissen, und hat man Träume und Musik in sich, so thut man es so, wie die, von der wir sprechen.

Einzelne stockende Augenblicke, einige zu undeutlich verzogene Melodieen, die leicht in’s Einfache und Völlig-Edle zurückzuführen wären, ausgenommen, finde ich alles wohl und recht, Anlage und Ausbildung vorhanden, und stört mich nur das beigefügte „di bravura,“ weil dann das Allegro unüberwindlicher sein müßte und die Gattung überhaupt den Frauen weniger ansteht, die lieber schwärmerische Romanzen und dergleichen schreiben sollten. Endlich aber wünschte ich den ganzen Satz von zwei anderen gefolgt, so, daß eine Sonate fertig geworden, an deren einen ersten Theil (bis auf den fehlenden Mittelsatz) das Allegro am meisten anklingt, des Umstandes noch zu erwähnen, daß dann die bescheidene Dilettantin einen ganzen großen Schritt zur Namensverbreitung zurückgelegt hatte, während man in

Anmerkungen (H)

  1. [WS] Wolfgang Amadeus Mozart junior (eigentlich Franz Xaver Wolfgang) (1791–1844), österreichischer Komponist und Pianist.
  2. [WS] Johann Georg Anton Mederitsch, genannt Gallus (1752 getauft – 1835), österreichischer Komponist und Dirigent.
  3. [GJ] Julie Baroni-Cavalcabo war den 16. October 1813 in Lemberg geboren. Ihr Vater bekleidete dort das Amt eines Gubernialraths bis 1838, wo er nach Wien übersiedelte. Zu dem auserlesenen Künstlerkreise des Hauses, dessen Mittelpunkt seine Frau Josephine, geb. Gräfin Castiglione, bildete, gehörte in dem Winter 1838/39 auch Schumann. In Erinnerung daran widmete er dieser im Jahre 1841 sein Liederheft Werk 30. Julie wurde bis zu ihrem 14. Jahre von Mozarts Sohn[H 1] unterrichtet, später setzte sie ihre theoretischen Studien bei dem Componisten Joh. Mederitsch, gen. Gallus (geb. 1765 in Böhmen)[H 2] fort. Sie hat 28 Compositionen — in Clavierstücken und Liedern bestehend — veröffentlicht, von denen die ersten 1830, die letzten 1844 erschienen. Ein Lied von ihr („Eigne Bahn“) ist in den musikal. Beilagen zur Zeitschrift (1840) enthalten. Schumann lernte die junge Künstlerin persönlich kennen, als sie im Juni 1835 mit Mozart zusammen Leipzig besuchte. Sie verheirathete sich 1839 mit dem Appellationsrath v. Webenau in Wien, der aber schon 1841 starb. Im folgenden Jahre schloß sie eine zweite Ehe mit dem Secretair der brasilianischen Gesandtschaft in Wien, Hrn. v. Britto, einem eigenartigen Manne, der für ernstere Musik keinen Sinn hatte und sich fast ganz auf den Verkehr mit seinen Landsleuten (Portugiesen und Brasilianer) beschränkte. Er lebte von 1855 an auf einer Besitzung bei Cilli (Steiermark) in beinah völliger Abgeschiedenheit von der Welt; 1867 zog er nach Marburg (Steiermark), zwei Jahre später nach Graz, wo er 1877 starb. Erst in Graz fand Frau v. Britto, die der Musik und dem Verkehr mit Künstlern fast ganz hatte entsagen müssen, endlich wieder Gelegenheit, neuere musikalische Erscheinungen in Theater und Concert kennen zu lernen. Sie schloß (wie Herr Professor Gaston v. Britto in den biographischen Mittheilungen über seine Mutter sagt) „ihr an Bitterkeiten und Enttäuschungen reiches Leben“ am 3. Juli 1887. — Für Schumann (mit dem sie auch eine zeitlang correspondirte) hat sie immer eine große Verehrung gehegt. Eine vorzügliche Pianistin, war sie auch eine der ersten, die seine Musik (Carnaval, Davidsbündlertänze, Phantasiestücke u. a.) in Wien zur Anerkennung zu bringen suchte. Schumann bezeugte der begabten Künstlerin seine hohe Achtung bald nach ihrer ersten Verheirathung (1839) durch die Widmung seiner in Wien entstandenen Humoreske, was die Componistin im folgenden Jahre durch die Zueignung ihrer Phantasiestücke (Werk 25) an Schumann erwiderte. FN 59. I.341–342.