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ihr Bestes noch nicht gezeigt haben, gleich von vorn herein[H 1] auf ein schönes Herz, einen harmonisch gebildeten Geist schließen. Und dann hörte ich erst vor Kurzem von Clara Wieck, wie von einem Freunde des Componisten eine Menge kleiner Tonstücke, daß Einem vor Lust die Thränen in die Augen treten konnten, so unmittelbar griffen sie an das Herz. – Kann ich nun über solchen Tugenden eines Künstlergeistes auch nicht die tiefere Eigenthümlichkeit Anderer, wie den hochleidenschaftlichen Chopin vergessen, über Walter Scott nicht Lord Byron, so bleiben sie doch der Nachahmung, der innigsten Anerkennung in einer Zeit werth, wo ein verzerrender und verzerrter Meyerbeer wüstet und ein verblendeter Haufe ihm zujauchzt. Labt euch denn an den Aussichten, die dieser Künstler erschließt; die schöne Natur dringt endlich doch durch. Er aber möge sich seiner Bedeutung erfreuen, und fortfahren, mit seiner Kunst Freude und Glück unter den Menschen zu verbreiten.

Noch Eines. Es wurde neulich gefragt, ob Henselt nicht eine dem Prinzen Louis von Preußen verwandte Erscheinung wäre. Allerdings, aber sie fallen in umgekehrte Zeiten. Nimmt man von der Musik einen romantischen und classischen Charakter an, so war Prinz Louis der Romantiker der classischen Periode, während Henselt der Classiker einer romantischen Zeit ist; und insofern berühren sie sich.[H 2]




Anmerkungen (H)

  1. [WS] Vorlage: gleich vorn herein
  2. [GJ] Den ursprünglichen Schlußsatz: „Wer aber weiß, was die Zukunft aus dem noch Lebenden macht“ hat Schumann 1852 gestrichen. Er hatte mehr und mehr eingesehen, daß Henselts Compositionstalent doch nicht so bedeutend war, wie es ihm zuerst erschien. Der Quell, „der so frisch und fröhlich zu sprudeln begann“ (wie Schumann 1842 schrieb), versiegte verhältnißmäßig rasch, jedenfalls lassen [499] die späteren Werke Henselts gegen die ersten Variationen und die Etuden keine Steigerung erkennen. Die Entstehung seiner Hauptwerke fällt in die Zeit bis 1838, wo er sein 24. Lebensjahr zurückgelegt hatte. Auch das Duo mit Horn (dessen Uebertragung für Violoncell F. Kummer besorgte) und die Variationen über ein Thema aus Robert (bei deren Orchesterbegleitung Reißigers Sachkenntniß in Anspruch genommen wurde) waren 1837 bereits geschrieben, was aus (ungedruckten) Briefen Henselts an Krägen hervorgeht. In demselben Jahre war auch schon von einem Concert und einem Trio die Rede (N. Ztschft. 1837, VII, 58 [WS: dort nicht nachweißbar]), vermuthlich die später bekannt gewordenen Werke. Henselts eigentlicher Boden war das kurze Charakterstück, die Etude; die Beherrschung größerer Formen war nicht seine Stärke. Das F moll-Concert hatte er jahrelang unter der Feder. Schon 1839 arbeitete er daran, 1841 wurde es als „fertig“ gemeldet, 1844 „fehlte an der Instrumentirung noch Vieles“, auch die Clavierstimme war „noch nicht ganz klar“ (wie Schumann aus Petersburg meldete). Nachdem Clara Schumann es endlich 1845 im Gewandhause gespielt hatte, erschien es doch erst 1847 im Druck. – Schumann trat für die Würdigung und das Bekanntwerden Henselts, an dem er vom ersten Augenblicke an so neidlos seine Freude hatte, mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln ein. Als Henselt im März 1838 mit Empfehlungen aus Berlin (von der Kronprinzessin, von der Prinzeß Wilhelm und der Prinzeß Friedrich) in Petersburg eingetroffen und bald nachher als Lehrer in der kaiserlichen Familie thätig war (– die Großfürstin Helene wurde 1839 eine seiner ersten Schülerinnen –), veröffentlichte Schumann noch vier kleinere Compositionen von ihm in den Beilagen (1838 bis 1840) zur neuen Zeitschrift. In den kritischen Anzeigen sprach er sich auch über die schwächeren Erzeugnisse Henselts freundlich und wohlwollend aus, allein man merkt ihm an, daß seine Erwartung, Henselt werde aus seinem engeren Kreise heraustreten und sich höheren Aufgaben zuwenden, getäuscht war. So dachten auch Andere, z. B. C. Banck, der die ersten 12 Etuden auf Henselts Wunsch mit französischen Mottos versehen und den Verkauf des Werks an Hofmeister vermittelt hatte. Banck schrieb nach der Veröffentlichung der kleineren Stücke (Werk 8 bis 10) unterm 18. Juli 1839 an Hofmeister: „Die neuen Sachen von Henselt wären besser nicht heraus – wenigstens in diesen Verhältnissen, nach solchen Erwartungen und nun diese einzelnen kleinen schwächeren Piecen? die als Nebencompositionen ganz hübsch sind.“ Unterm 28. Juli setzte er hinzu: „Uebrigens sind diese Piecen mir immer noch lieber als die Novelletten von Schumann“, – ein Urtheil, das durch das noch schlagendere vom 24. Febr. 1839 überholt wird: „Bei Schumann sind Titel und Überschriften sehr gut, wenn nur andere Noten darunter ständen!“ „Titel ist das halbe Werk, oft das Ganze, wie Sie an Schumann sehen.“ (17. Aug. 1839.) – Schumann bezeugte Henselt seine Freundschaft auch durch die Widmung der „Novelletten“ (1839), die sich die Sympathie Henselts aber nicht erworben zu haben scheinen. Henselt muß von dem Componisten Schumann wohl keine sonderliche Meinung gehabt haben. Das geht aus einem Briefe hervor, den er unterm 13. Dec. 1865 an Krägen richtete, zu einer Zeit also, wo die ganze geistige Arbeit Schumanns doch vollständig zu überblicken war. Die für Henselts Standpunkt bezeichnende Stelle lautet: „Auch an allen andern beigelegten Stücken [Compositionen eines jungen Dresdner Künstlers] habe ich mich wenig erbaut und wäre nicht das prélude poétique in Gis moll dabei gelegen, so wäre ich sehr im Zweifel gewesen, ob hinter diesem Herrn mehr als eine Fingerfähigkeit steckt. Aber [500] lernen thun halt heut zu Tage die Leute zu wenig, ich meine contrapunctische Studien machen. Das fing schon mit Schumann an, der glaub ich wär weiter gekommen, wenn er etwas weniger Talent gehabt hätte und es ihm folglich nicht so leicht geworden wäre, dann hätt er mehr gelernt. Die Leute lernen jetzt ein Instrument spielen, dann eine kurze Harmonielehre, dann Partituren Studiren [am Rande: „das letzte ist die Hauptsache!“] und dann geht der Wunsch zu brilliren an u. der Componist ist fertig; ich komm aber in Auslassungen, die ich nicht will; die Zeit ist der beste und richtigste Richter. Wenn Beethoven mit der 9. Symph. und op. 106 angefangen, wär er längst vergessen. Die Pietät für den großen Mann erhält auch alles andere.“ – Mit seltener Unbefangenheit und Klarheit beurtheilte Henselt in seinen späteren Lebensjahren sich selbst und seine Compositionen, wie seine Briefe an Frl. M. Lipsius (Leipziger Ztg., 1890, wissenschaftl. Beilage Nr. 56 und 57) bezeugen. „Ich bin durchdrungen (schreibt er 1874), daß ich in meiner Jugend sehr viel versprochen und dann sehr wenig gehalten habe, und man nicht von mir sprechen könnte, ohne das zu rügen.“ „Ich habe die unumstößliche Ansicht über mich, daß nach dem, wie ich angefangen, – ich war im 18. Lebensjahre, als ich mein op. 14 [Duo für Clavier und Horn] geschrieben — man berechtigt war, viel mehr von mir zu erwarten, als ich geleistet. Ein anderes Urtheil würde gewiß vielfache Opposition hervorrufen. Im günstigsten Fall wäre nur zu sagen, daß, wenn ich nicht zum Clavierspieler erzogen worden wäre, ich in der Composition Bedeutenderes geleistet haben würde. Glauben Sie mir, das ist das richtige Urtheil über mich; ein jeder Künstler weiß am besten sich selbst abzuschätzen, wenn ihn nur die Eitelkeit nicht um den klaren Verstand bringt.“ 1875: „Mir wird immer angst und bange, wenn man von mir als Componisten spricht und von meinen Werken! Sie glauben vielleicht, daß ich mich unterschätze; gar nicht, ich lebe nur in keiner Illusion über mich. Ich weiß z. B, sehr gut, daß unter dem Besten, was man für unser Instrument hat, auch einiges von mir ist, und daß ich bessere Studien gemacht als mancher sogenannte Componist; aber das ist viel zu wenig, namentlich die Werke, die nennenswerth sind, viel zu wenig; ich habe nur ein Zeugniß gegeben, daß ich hätte Componist werden können; aber meine Verhältnisse waren dazu nicht angethan; vor Allem hätte das Streben nach Virtuosität niemals über mich kommen müssen etc.“ 1878: „Die Zeit, wo man sich vielleicht für mich interessiren können wird, fängt erst nach meinem Ableben an, und zwar erst dann, wenn blos die Notenköpfe für oder gegen sich sprechen und wenn alle andern Interessen und Bekanntschaften und Verbindungen längst aufgehört haben.“ „Ich bin eigentlich nur da, wo ein pädagogischer Zweck vorliegt, in meinem Fahrwasser.“ „Seit meiner Jugend bin ich im Schaffen immer rückwärts gegangen, auch da, wo ich etwas wollte; ich danke Gott, daß ich hierüber hell sehe.“ „Ich weiß gar wohl, daß ich mich nicht mit Chopin vergleichen kann, aber es ist doch menschlich, daß ich gerade nicht in meiner Schwachheit [d. h. in den „Préambules“, einer Sammlung ganz kurzer Präludien] neben ihm figuriren möchte.“ Anmerkung 12, II.498–500 Commons