Seite:Geschichte der protestantischen Theologie 626.png

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intellektuellen Glauben, als wäre er das Ziel, verbliebe, das Leben eine Widerlegung des Glaubens, das Dasein ein gespaltenes, eine unerträgliche Unwahrheit und Heuchelei, ja die Stätte des Skepticismus und Unglaubens würde. Und was neben der reinen evangelischen Wahrheit sich in Theologie und Kirche eingeschlichen, erweckte da, wo das Wort Gottes eine gute Statt gefunden hatte, nur um so mehr die Sehnsucht nach einer lebendigeren, gereinigteren Gestalt der Kirche und zwar, was nur eine Fortsetzung der Reformation war, so, daß im Allgemeinen die einzelnen von dieser Bewegung zu einem wahren thätigen Christenthum Ergriffenen mit der Reform bei ihrer eigenen Person den Anfang machen zu müssen anerkannten, wobei sie die von Spener wie schon von Früheren angegebenen Mittel, besonders die frommen Privatversammlungen unter Leitung gleichgesinnter Geistlicher, sowie der Schriften Speners und Anderer benützten.

Die Bewegung nahm aber wie gesagt im Fortschreiten ihren selbstständigen Gang. Spener hat sie nicht in den einzelnen Ländern und Städten gestiftet, sondern nur berathend, vor Gefahren warnend, gegen Angriffe nach Kräften schützend sie begleitet mit einer bewundernswerthen Rührigkeit, Ausdauer und Weisheit. Aber dennoch verlief sie nicht still und ruhig, sondern durch den Widerspruch sogenannter Orthodoxer ohne geistliches Leben, der sich auf die ungeistlichen Massen gerne stützte, welche dem christlichen Lebensernst eine bequemere Kirchlichkeit und ein Christenthum des Mundes entgegensetzten, entstanden in einer großen Reihe von Ländern und Städten Kämpfe und Unruhen, die gegen die neue Richtung als gegen eine Secte gerichtet waren, so in Darmstadt, Erfurt, Halle, Gotha, Jena, Wolfenbüttel, Hannover, Peine, Hamburg, Halberstadt. Die nähere Erzählung gehört der Kirchengeschichte an, wie denn überhaupt der Pietismus mehr eine Erscheinung des kirchlichen Lebens als der Theologie ist, was in diesen Kämpfen die Gegner vor Löscher meist übersahen, indem sie ihrer eingewurzelten dogmatischen Richtung gemäß nichts anderes wußten, als die ihnen fremde Erscheinung als eine dogmatische Lehre zu behandeln und als eine Ketzerei oder ein Conglomerat von Ketzereien zu verurtheilen. Sie konnten von ihrem Standpunkte, dem die Dogmatik Alles war, kaum anders. Wo die reine Lehre im Schwange sei, da müsse, meinten sie, von selbst wie nach einer Art von physischer Nothwendigkeit sich alles Andere gut und harmonisch gestalten. Denn das war ihre Voraussetzung, wenn nur

Empfohlene Zitierweise:
Isaak August Dorner: Spener und der Pietismus. J.G. Cotta, München 1867, Seite 626. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_der_protestantischen_Theologie_626.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)