Seite:Geschichte der protestantischen Theologie 640.png

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Sinnes. Zu der „Welt“ nimmt die pietistische Ethik eine überwiegend negative Stellung ein: sie ist mit ihr in Spannung. In seiner ernsten Auffassung des Bösen unterscheidet der Pietismus zu wenig „Welt“ und „Welt“, wozu auch der Umstand beiträgt, daß er die Neuheit des Christenthums, als einer neuen Schöpfung nicht ohne Einseitigkeit betont. Demgemäß hat diese Ethik, was das Verhältniß zur Welt angeht, mehr negativen, beschränkenden Charakter: der Geist wagt noch nicht, es mit der Welt aufzunehmen, um sie sittlich zu organisiren und zusammenhängend in dem Vertrauen zu gestalten, daß die anerschaffnen Kräfte nach ihrem Lebensgesetz behandelt und normal wirksam von selbst dem Reiche Gottes dienen müssen. Es ist vortrefflich, daß der Pietismus im Allgemeinen erkennt: jeder Moment des Lebens müsse heilig, Gott geweiht sein, es sei daher keine Stelle für Lebensmomente, die gar nicht unter sittliche Würdigung fallen, für sogenannte Adiaphora oder Mitteldinge, auf die nur der Begriff des Erlaubten anzuwenden sei. Aber wenn sich das Verhältniß zur Natur überwiegend auf Bekämpfung und Enthaltung beschränkt, so fehlt es doch großentheils an einer positiven sittlichen Aufgabe, die das ethische Leben bereichern und das Princip des thätigen Glaubens zur Entfaltung bringen könnte. Die Idee der ethischen Gestalt des Menschen ist also noch zu abstract und nicht allseitig genug umfaßt sie die ganze sittliche Bildung. Namentlich erhält Kunst und Wissenschaft eine gar precäre und zufällige Stellung. Ja das ganze ästhetische Gebiet in seinem weitesten Umfang bringt es bei ihm zu keiner weiteren Anerkennung als der eines nothwendigen Uebels. Kein anderes positives sittliches Handeln kennt und will der Pietismus, als welches der Erweckung und Bekehrung diene, also der Frömmigkeit. Was sich nicht so ansehen läßt, ist ihm werthlos, wenn nicht verdächtig und schädlich. So kräftig also allerdings die Frömmigkeit oder der Glaube ethisch gefaßt ist, eben so energisch ist doch wieder dieser ethisch gefaßte Glaube als das Ganze genommen; das Princip ist wieder, wie in anderer Weise in der Orthodoxie so selbstgenugsam, daß es sich gegen seine freie Entfaltung aus Furcht vor Selbstverlust sträubt und daß sogar die Thätigkeit, die ihm allerdings beiwohnt, wesentlich darauf ausgeht, durch die Thätigkeit einfach zum Princip zurückzukehren. Denn diese hat nur zum Ziel, die Selbstbehauptung des Princips gegenüber von der „Welt“ und die Vervielfachung seines Daseins in neuen gläubigen Persönlichkeiten. Ja

Empfohlene Zitierweise:
Isaak August Dorner: Spener und der Pietismus. J.G. Cotta, München 1867, Seite 640. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_der_protestantischen_Theologie_640.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)