Seite:Geschichte des Diaconissenhauses Neuendettelsau (1870) 060.png

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Erster Knabe:

     Ja wahrlich, schreibt Heinrich Müller an einem andern Ort, keine Tugend gefällt Gott beßer, keine Tugend wird am jüngsten Tage vor aller Welt mehr gerühmt werden als die Barmherzigkeit; denn Gott ist ein Vater der Natur: wer sich der elenden Natur annimmt, der nimmt sich Gottes an. Darum hat Gott im Gesetz geboten, daß man von den Äckern und Weinbergen die Frucht soll nicht zu genau ablesen, sondern den Armen und Fremdlingen auch ein Träublein hangen laßen, daß man alle 3 Jahre den Zehenten absondern und den armen Wittwen und Waisen geben sollte. Mit welch süßen Worten lockt uns die Schrift zur Barmherzigkeit! Salomo spricht: Wer sich des Armen erbarmet, der leihet’s dem Herrn. Sprüchw. 19, v. 17. Es ist ja alles sein, was wir sind und haben; dennoch will Gott die Almosen annehmen als ein geliehenes Gut und mit reichen Zinsen bezahlen. Was geliehen wird, das behält man nicht. Gott wird’s zu seiner Zeit wiedergeben. Wie könnten wir unsre Schätze beßer verwahren? Vielleicht hätte sie mittlerzeit ein Dieb gestohlen oder ein Unglück genommen. Sirach spricht Kap. 17, v. 18: Er behält die Wohlthaten wie einen Siegelring und die guten Werke wie einen Augapfel. Seines Siegelrings vergißt Niemand, denn er trägt ihn am Finger, und was hat man lieber, was verwahrt man sorgfältiger als seinen Augapfel? Das geringste Seufzerlein, das ich den Armen gebe, gilt vor Gott mehr, als ein ganzes großes Kaiserthum. Wer wollte seinen Augapfel um ein Kaiserthum geben? Christus selber ermahnt Matth. 6, v. 19–20: Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, da sie Motten und der Rost freßen, und da die Diebe nachgraben und stehlen. Sammlet euch aber Schätze im Himmel, da sie weder Motten noch Rost freßen, und da die Diebe nicht nachgraben und stehlen.


Zweiter Knabe:

     Lob sei dem Herrn Jesus. O wie eine kräftige Anreizung zur Barmherzigkeit und zum Almosen liegt in seinen Worten! Wer will nicht gerne weinen, seufzen und beten, wenn er weiß, daß alle Thränen in Gottes Register, und wer will nicht gern den Armen geben, wenn er versichert ist, daß alles bei Heller und Pfennig in Gottes Buch gezeichnet wird und daß nicht ein Waßertrunk, den Seinigen im Glauben und in der Liebe gereicht, wird vergeßen und unbelohnt bleiben!

(Scriver.)     

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Etwas aus der Geschichte des Diaconissenhauses Neuendettelsau. Verlag von Gottfried Löhe, Nürnberg 1870, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_des_Diaconissenhauses_Neuendettelsau_(1870)_060.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)