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wie der Verfasser der Anrede in vielen Punkten stark über das Ziel hinausschiesst, aber auch erkennen, dass die Zeit sehr viele der aufgestellten Forderungen erfüllt hat. Klar ersichtlich wird es jedoch, dass in jener Zeit, in der der Despotismus noch seine Blüten trieb, solche Gedanken recht wohl als aufrührerisch, volksverderblich und verderblich angesehen werden konnten. Unsere jetzt wesentlich kühlere Denkungsart erkennt heute manch ausgesprochenes Wort als unzweifelhaften Irrtum, übersieht die Grenzen, die einer derartigen Gesellschaft gezogen sind und innegehalten werden müssen zum Wohle der Allgemeinheit, weit leichter, als es jenen nach Freiheit dürstenden Seelen möglich war. Der Freiheitsdrang, der in Schiller einen so bereiten, begeisternden Sänger fand, pulsierte überall; die Sturm- und Drangperiode machte sich gewaltig fühlbar, und unter Berücksichtigung dieser Tatsachen gewinnen heute viele Vorgänge ein ganz anderes Gesicht.

Man wollte das Gute, aber über die Mittel es zu erringen, darüber war man nicht einig. Deswegen brachte jene Zeit wohl eine Fülle von Theorien zu stande, die alle in beschränkter Weise ihren Einfluss ausübten, aber keine durchbrechende Macht besessen, bis die Weltereignisse selbst mit eherner Gewalt das Morsche stürzten und die Bahn freimachten für Segnungen, die das heutige Geschlecht geniesst. Geahnt jedoch haben unsere Vorkämpfer eine neue Zukunft, die uns inzwischen Gegenwart geworden ist; wie sich dieselbe nun in ihren Köpfen ausmalte, das wurde in der Anrede oft recht unverblümt ausgesprochen. Letztere hat nun folgenden Inhalt; es sei jedoch gleich hier eindrücklichst betont, dass der heutige Orden nicht mehr mit den oftmals unhaltbaren Ansichten und klaren Irrtümern übereinstimmt. Die ganze Anrede hat nur historisches Interesse:


»Nach sorgfältiger Vorbereitung und Prüfung rückt nunmehr die Zeit deiner Belohnung herbei: Du hast deinen Verstand aufgeklärt, dein Herz gebessert, du hast dich und andere erkennen und bilden gelernt. Nun trifft auch dich die Reihe, andere zu erleuchten und zu regieren. Das was du bis jetzt weisst und was du noch lernen wirst, giebt dir Überlegenheit und Einsichten über andere Schwächere und eben diese Überlegenheit ist die einzig wahre Quelle der Macht des Menschen über andere Menschen.

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Leopold Engel: Geschichte des Illuminaten-Ordens. Berlin: Hugo Bermühler Verlag, 1906, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_des_Illuminaten-Ordens_(Engel)_150.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)