Seite:Geschichte des Illuminaten-Ordens (Engel) 293.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Gesellschaft den Schein von Macht, von Ansehen, von Weisheit; und vom Besitze wichtiger Mysterien. Sie suchen, durch erkünstelte Aufrichtigkeit seine schwache Seite auszuspäh'n und ihm seine Geheimnisse abzulocken: Sie legen ihm häufig verfängliche Fragen vor, die er schriftlich beantworten und dadurch blosgeben muss. Sie verleiten ihn zu Fehltritten, forschen seine begangnen Fehler aus, und halten seine eingegebenen Schriften und eigenhändigen Bekenntnisse sorgfältig zurück. Sie fordern von ihm seine eigene Lebensgeschichte, wie auch umständliche mit Thatsachen bewiesene Schilderungen von der guten und bösen Seite seiner Bekannten. Dadurch muss er sich und andere nothwendig entziffern und schriftlich compromittiren. Kurz sie versichern sich seiner durch alle möglichen, durch die feinsten Kunstgriffe, das ist oft das Werk einiger Jahre. Indessen steht er schon und auf immer unter den blinden Gehorsam, der ihm vollkommen unbekannten erlauchten Obern, die er als vollkommen gute Menschen, ja als Halbgötter anzusehen und zu verehren gezwungen ist. Er steht mit ihnen in einem unmittelbaren Briefwechsel, doch mit dem wesentlichen Unterschiede, dass die Obern die kleine Vorsicht gebrauchen und seine Originalien sorgfältig zurückbehalten, da sie zugleich die Ihrigen ebenso vorsichtig von ihm zurückfordern. In diesem Briefwechsel ist er schuldig alles, was ihm immer für den Orden erheblich vorkömmt den Obern zu entdecken. Er kann diesen monatlichen Bericht dem Provinz-Collegium unter der Aufschrift »Quibus licet« dem Provinzialen unter der Aufschrift »Soli« und dem Generale des Ordens unter Aufschrift »Pamio« einsenden; Niemand als die Obern wissen die details, die darin vorkommen; denn alle Briefe laufen durch die Untern. Der solche Briefe nicht richtig und getreulich besorgte würde gewiss suspendiert oder gar ausgeschlossen werden. Auf die Weise erfahren die Obern alles, was immer sie zu erfahren verlangen mögen. Daher sagen sie mit Zuversicht von sich selbst: »Wir sind im Stande mehr zu wissen als andere, mehr zu wirken als andere.«

Gesetzt nun ein Einziger unter den Obern wäre ein böser Mensch, oder gar ein Landesverräther, was könnte er nicht unternehmen? Ein Maxime der Obern ist: »nihil agenti similis multa agens.« — Kann ein solches System wohl geduldet werden? In Rücksicht seiner gibt es sichtbare, verschwundene,

Empfohlene Zitierweise:
Leopold Engel: Geschichte des Illuminaten-Ordens. Berlin: Hugo Bermühler Verlag, 1906, Seite 293. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geschichte_des_Illuminaten-Ordens_(Engel)_293.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)