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Walther Kabel: Gewissenhafte Advokaten. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1911, Bd. 12, S. 213–218

Anwalt und erhob nun seinerseits Klage gegen die beiden anderen Fabrikanten. Der Advokat Heathcoats merkte bald, daß er der Sache seines Klienten ohne genügende Kenntnis der Maschinerie des Bobbinetsystems nicht würde zum Siege verhelfen können. Er trat daher zunächst in die Weberei seines Mandanten als Lehrling ein und brachte es in zwei Wochen so weit, daß er eigenhändig eine Spitze herstellen konnte. Hierauf ließ er sich unter angenommenem Namen auch nacheinander in den Fabriken der Prozeßgegner seines Mandanten beschäftigen, um die abgeänderten Bobbinetmaschinen gleichfalls genau kennen zu lernen.

Am Terminstage standen die drei Maschinen im Gerichtssaal, und der Anwalt vermochte nunmehr auf Grund seiner eingehenden Studien der Jury besser wie jeder Sachverständige zu beweisen, daß die beiden anderen Webstühle tatsächlich nichts als Nachahmungen des Heathcoatschen Patentes seien. Der Prozeß brachte dem eigentlichen Erfinder über zwei Millionen an Abfindungsgeldern und dem eifrigen Advokaten 200.000 Mark an Gebühren ein. –

Berühmt als Vertreter für Ehescheidungsprozesse ist in New York Thomas Shesterley. Er gehört zu den gewiegtesten Advokaten der großen Hafenstadt, und die Amerikaner schätzen ihn als einen Mann, dem keine Mühe zu groß ist, um für seine Partei den Streit zu einem glücklichen Ende zu führen. Seinen Ruf erwarb er sich in einem Prozeß, der vor mehreren Jahren ganz New York monatelang in Atem hielt und dessen letzter Termin sich zu einer wahren Sensation mit größtem Heiterkeitserfolg gestaltete.

Im Jahre 1897 heiratete der New Yorker Großkaufmann D. eine französische Sängerin, die gerade ein Gastspiel in Amerika absolvierte. Fräulein Delvère, deren berückende Schönheit den mehrfachen Millionär völlig um seine klare Überlegung gebracht hatte, ließ sich in dem Ehekontrakt vorsichtigerweise die Hälfte der Reichtümer ihres Erwählten im Falle einer ihrerseits nicht verschuldeten Scheidung der Ehe versprechen. Nichtsahnend ging D. darauf ein. Die Hochzeit fand unter größter Prachtentfaltung statt, bildete aber für den jungen

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Walther Kabel: Gewissenhafte Advokaten. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1911, Bd. 12, S. 213–218. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1911, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gewissenhafte_Advokaten.pdf/4&oldid=- (Version vom 1.8.2018)