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Walther Kabel: Gewissenhafte Advokaten. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1911, Bd. 12, S. 213–218

seinen Antrag auf Scheidung der Ehe zu begründen. Er führte aus, daß es ihm durch ein Detektivbureau gelungen sei, einige der früheren Kammerzofen des damaligen Fräuleins Delvère auszukundschaften. Diese würden bekunden, daß die Dame schon als Sängerin fast regelmäßig jede Nacht in schwer angeheitertem Zustande nach Hause gekommen sei. In Paris wäre Lucia Delvère ferner in den Kreisen der vornehmen Lebewelt wegen ihrer Neigung für die schwersten Weine geradezu berüchtigt gewesen. Allerdings habe die Beklagte dann während ihrer Verlobung mit seinem Mandanten ihre alkoholischen Neigungen klug zu verbergen gewußt, sei dann aber nach der Hochzeit desto mehr ihrem alten Laster verfallen. Dies habe der Kläger allerdings in dem ersten Prozeß nicht beweisen können, da des Klägers alleiniges Zeugnis nicht als genügend angesehen wurde.

Hier machte Shesterley eine kleine Pause und fuhr dann mit einem ironischen Blick auf Frau D., die ihn bereits die ganze Zeit über wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt angestarrt hatte, fort: „Um das nötige Beweismaterial zusammenzubringen, habe ich mir erlaubt, mit der Beklagten, der es offenbar nur darum zu tun ist, meinem Klienten die im Ehekontrakt zugesagten Millionen abzunehmen, eine kleine Komödie zu spielen. Ich verschaffte mir unter dem Namen Warrens Zutritt zu ihrem Hause in Philadelphia und habe dergestalt in einem halben Jahre genügend Beweisstoff gesammelt, um dem hohen Gerichtshof darzutun, daß die Schilderungen meines Mandanten von den Zuständen während seines Zusammenlebens mit der Beklagten keineswegs übertrieben sein dürften. Ich werde mich auch nicht scheuen, hier die detailliertesten Einzelheiten aus meinem Erfahrungsschatze über die Beklagte vorzutragen, falls diese nunmehr nicht selbst einsehen sollte, daß es am klügsten ist, in die Scheidung unter Verzicht auf die Millionen einzuwilligen, besonders deswegen einzuwilligen, weil mein Klient, wenn er das Vorleben des Fräuleins Delvère gekannt hätte, niemals einen derartigen Ehekontrakt unterzeichnet haben würde, einen Kontrakt, zu dessen Eingehen er den ganzen Umständen nach

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Walther Kabel: Gewissenhafte Advokaten. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1911, Bd. 12, S. 213–218. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1911, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gewissenhafte_Advokaten.pdf/6&oldid=- (Version vom 1.8.2018)