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Walther Kabel: Gletscherleichen. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 8, S. 212–216

Gletscherleichen. – In der Region des ewigen Schnees der Hochgebirge bilden sich bekanntlich aus den Schneemassen, die durch den Druck darüber ausgebreiteter neuer Schneefälle immer fester zusammengepreßt werden, ungeheure Eisströme, die sich langsam talabwärts bewegen. Verschiedentlich sind nun an jenen Stellen, wo der Eisstrom infolge der im Tal herrschenden höheren Temperatur hauptsächlich in den Sommermonaten zerschmilzt und als Gletscherbach seinen Weg fortsetzt, Leichen von Personen zutage getreten, die vor langen Jahren auf dem Gletscher verunglückten, durch Schneefälle oder Lawinen verschüttet und dann, in die entstehende neue Eisschicht eingebettet, nicht eher wieder zum Vorschein kamen, bis der Eisstrom sie an seinem Endpunkte wieder herausgab – meist durch die Kälte ebenso vorzüglich konserviert wie jene in den Schneewüsten Sibiriens entdeckten, Jahrtausende alten Mammutkadaver.

Im Jahre 1783 wurde Island, die Insel der Vulkane, heißen Quellen und größten Gletscher von ganz Europa, von furchtbaren Vulkanausbrüchen heimgesucht, durch deren giftige Gasausströmungen, wie der dänische Geschichtschreiber Sigurdsson berichtet, unzählige Menschen umkamen. Um den verderbenbringenden Gasen zu entgehen, flüchteten viele Bewohner der bedrohten Gebirgstäler bis in die höchsten Bergregionen, fielen dort aber heftigen Schneestürmen zum Opfer. Die Leichen von vierzehn dieser Unglücklichen wurden fast ein ganzes Jahrhundert später durch einen merkwürdigen Zufall in noch recht gut erhaltenem Zustande wieder aufgefunden.

Im Juni 1876 hatte sich der englische Gelehrte Thomas Housding, der sich vornehmlich mit der Erforschung der Gletscher

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Walther Kabel: Gletscherleichen. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 8, S. 212–216. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1912, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gletscherleichen.pdf/2&oldid=- (Version vom 1.8.2018)