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im Jenseits hat. Wenn wir, Gott bewahre, so täten, so wären wir viel ärger als das Vieh. Denn das Vieh fällt nieder und stirbt und hat keine Rechenschaft zu geben, aber der arme Mensch, sobald er stirbt, muß er Rechenschaft geben vor seinem Schöpfer. Wohl uns Menschen, so wir unsere Rechenschaft hübsch fertig machen, so lange wir leben.

Indem wir wohl wissen, daß wir sündig sind und daß der böse Trieb in uns herrscht, »denn kein Gerechter ist im Lande, der das Gute tut und nicht sündigt«, also soll sich der Mensch einrichten, sobald er eine kleine oder große Sünde getan, zu bereuen und Buße zu tun, wie unsere Sittenlehrer geschrieben haben, damit die Sünde aus dem Buche gelöscht werde und dafür sogar eine Guttat angeschrieben werde.

Aber wenn der sündige Mensch so hinlebt wie das Vieh und nichts Gutes, sogar alles Böse tut, und in seinen Sünden also hinstirbt, o wie wird er auf jener Welt sein Buch mit eitel Schulden – die seine Sünden sind – finden gegenüber dem Blatte, wo billigerweise sein Guthaben – Buße und gute Taten – stehen sollte, das leer ist. Also bleibst du, sündiger Mensch, Schuldner, und womit willst du deinen Erschaffer bezahlen, der dich so treulich hat warnen lassen?

Nun, was soll ich alle Nöten und Pein beschreiben, die der sündige Mensch muß ausstehen und mit was für Angst und bitterer Not und Qual, und wie lange er an seinen Schulden im Jenseits zu bezahlen hat. Ist doch Gott – gelobt sei er – so erbarmend, daß er von ihm seine Schuld auf dieser Welt abnimmt, wenn sie der Mensch einzeln bezahlt, indem er Buße, Gebet und Almosen und gute Taten hübsch einzelweise tut. So kann er seine Schulden auf dieser Welt bezahlen. Denn Gott begehrt nicht, daß man sich mit der Buße ums Leben bringen soll. Nein, alles hübsch wie unsere Weisen geschrieben und in unserer Thora steht, und wenn der Mensch dann solches tut, so macht er sein Buch rein auf dieser Welt und hat keine verworrene Rechnung und kann alsdann mit Freuden zu seinem Erschaffer kommen.

Empfohlene Zitierweise:
Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_005.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)