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zu trinken den allerbesten Wein, kriegt er nichts mehr als ein Mäßchen Wasser. Unseres Herrn und Freundes Kleidung ist gewesen in Sammet und Seide, jetzunder sehen wir wohl, daß er nichts anderes an hat, als grobe, wollene, stachelichte Kleider. Darüber verwundern wir uns sehr. Bei all dem ist das Angesicht des Herrn nicht verändert; das Fleisch an seinem Leib ist ihm nicht gemindert, seine Kraft ist noch vollkommen; wie in unseres Herrn und Freundes guten Zeiten finden wir ihn jetzunder. Wir bitten unseren Herrn, er wolle uns doch sagen, wie er alle dermaligen großen Schmerzen ausstehen kann, ohne daß sie ihm schaden und man sie ihm ansieht.«

Da hat der Arzt seinen Anverwandten wieder geantwortet und gesagt: »Meine lieben Freunde, da ich in das Gefängnis gekommen bin, habe ich siebenerlei Kräuter genommen und habe sie untereinander gemischt und gut zerstoßen und mir einen Trank davon gemacht. Von diesem Trank trinke ich alle Tage ein wenig, und das hilft mir, daß mein Gesicht nicht verändert ist, daß mein Fleisch sich nicht vermindert, daß ich bei meiner Kraft bin und die Schmerzen aushalten kann und ganz zufrieden bin.« Also sagen dem Arzt seine Verwandten zu dem Arzt: »Unser Herr und Freund, wir bitten dich gar sehr, sag uns, was das für Kräuter sind, die der Herr in seinen Trank getan hat, vielleicht möcht es geschehen, daß einer von uns auch solch große Schmerzen und Nöten hätte als wie der Herr hat, und daß wir uns auch so einen Trank machen wollten, um davon zu trinken, erwartend, daß wir in unserem Schmerz und Kummer auch nicht sterben.«

Also sagte der Arzt: »Meine lieben Freunde, ich will es euch sagen. Das erste Kräutel ist, daß ich meine Zuversicht auf Gott – gelobt sei er und sein Name – habe, daß er mich vor allen Nöten und Schmerzen, wenn sie auch noch so bös wären, beschirmen kann und auch vor der Hand des Königs: denn das Herz des Königs ist in Gottes Hand, was Gott – sein Name sei gepriesen – haben will, muß er tun.

Empfohlene Zitierweise:
Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_009.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)