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Wer weiß, was uns sündigen Menschen gut ist: ob es uns gut ist, daß wir im Diesseits in großem Reichtum leben und viele gute Tage haben, und unsere Zeit in lauter Wollust in dieser vergänglichen Welt zubringen – oder ob es uns besser ist, daß uns der himmlische Vater allzeit in seiner gnädigen Hut hält in dieser sündigen Welt, damit wir unsere Augen allzeit gegen den Himmel haben und unseren gnädigen Vater allzeit mit ganzem Herzen und mit heißen Tränen anrufen. So bin ich sicher, daß sich der getreue, gütige Gott unser erbarmen und uns aus der langen, betrübten Verbannung erlösen wird.

Seine Barmherzigkeit ist groß, seine Gnade ist viel; was er uns verspricht, wird sicher kommen.

Laßt uns nur mit Geduld warten, meine lieben Kinder. Seid fromm und gut. Dienet Gott dem Herrn mit ganzem Herzen, sowohl wenn es euch wohl ergeht, als wenn es euch – Gott behüte – übel ergeht. »So wie man für das Gute danken soll, soll man auch für das Böse danken.«

Schickt euch Gott – gepriesen sei er – etwas zu, kränkt euch nicht zu sehr. Gedenkt, es kommt alles von dem Herrn. Schickt euch Gott – gepriesen sei er – eine Strafe, daß euch – Gott behüte – Kinder oder nahe Freunde absterben, kränkt euch nicht zu sehr, denn ihr habt sie ja nicht erschaffen. Der große Gott, der sie erschaffen hat, nimmt sie wieder zu sich, wenn es ihm gefällt. Was soll oder kann der aus Lehm geschaffene Mensch dazu tun, der doch selbst den Weg gehen muß.

Ebenso, wenn euch Gott eine Strafe schickt, daß ihr Geld verliert. Der Höchste gibt und nimmt. Wir sind nackt geboren und müssen wieder nackt davongehen, alles Geld hilft uns nichts.

Also, meine lieben Kinder, was der Mensch auch verliert: er soll Geduld haben, nichts ist sein, es ist ihm nur geliehen. Wenn sich aber der Mensch schon kränken soll, wenn ein Tag vergeht, an dem er kein wohlgefälliges Werk getan hat, wie soll er sich erst kränken, wenn er – Gott bewahre – eine Sünde getan hat. Denn wir Menschen sind

Empfohlene Zitierweise:
Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_012.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)