Seite:Glueckel 032.jpg

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Sie haben aber nebbich nicht viel übrig davon gehabt, so daß meine Mutter sich oft hat den ganzen Tag mit einem Stück Brot behelfen müssen und hat auch so fürlieb genommen. Doch hat sie Vertrauen auf Gott – er sei gelobt – gehabt, welcher sie bis jetzt nicht verlassen hat, und dieses Vertrauen hat sie auch bis zum heutigen Tag behalten. Ich wollte, daß ich auch eine solche Notwehr[1] annehmen könnte.

Nun, Gott – er sei gelobt und sein Name sei gelobt – gibt nicht jedem Menschen das Gleiche.

Nun, wie schon gesagt, mein Vater – das Andenken des Gerechten sei gesegnet – hat, zuvor er meine Mutter bekommen hat, eine Frau gehabt, die hat Reize geheißen. Soll ein gar wackerer Mensch und gebieterische Frau gewesen sein, und hat eine große vornehme Haushaltung geführt.

Endlich ist sie gestorben und hat mit meinem Vater – das Andenken des Gerechten sei gelobt – keine Kinder gelassen.

Dieselbe hat aber zuvor eine einzige Tochter gehabt, also hat mein Vater von seiner ersten Frau eine Stieftochter bekommen. Selbe hat nicht ihresgleichen gehabt in ihrer Schönheit und in ihrem Tun. Französisch hat sie wie Wasser gekonnt, was meinem Vater – das Andenken des Gerechten sei gesegnet – einmal sehr zunutze gekommen ist.

Denn mein Vater – sein Andenken sei gesegnet – hat von einem Offizier ein Pfand für fünfhundert Reichsthaler gehabt. Also kommt der Offizier nach einer Zeit mit noch zwei Offizieren und will das Pfand auslösen.

Das war meinem Vater recht gewesen, er geht hinauf und holt das Pfand. Seine Stieftochter steht bei dem Klavecymbel und spielt darauf, damit den Offizieren die Zeit nicht lang werden soll. Also stehen die Offiziere bei ihr und bereden sich zusammen, daß, wenn der Jude mit ihrem Pfand kommt, sie es ohne Geld nehmen und davongehen.

Das haben sie auf französisch geredet und nicht gedacht, daß es das Mädchen versteht.


  1. Bei Kaufmann: Natur.
Empfohlene Zitierweise:
Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_032.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)