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Kutsche entgegengeschickt hat. Mein Schwiegervater – sein Andenken sei gesegnet – hat von dem Zorn gewußt, und da er, seligen Andenkens, ein lieber, wackerer Mann und ein großer Witzling war, also sagt er zu meiner Mutter: »Hört zu, meine liebe Gevatterin, ich bitt euch, seid nicht böse. Hameln ist nicht Hamburg. Wir haben hier keine Kutschen und wir sind schlichte Landleute. Ich will euch erzählen, wie es mir ergangen ist, als ich ein Bräutigam war und auf meine Hochzeit gezogen bin.

Mein Vater hat Samuel Stuckert[1] geheißen und ist Vorsteher in ganz Hessen gewesen, und ich bin ein Bräutigam mit meiner Freudchen, Nathan Spaniers Tochter, gewesen. Ich habe zweitausend Reichstaler als Mitgift bekommen und mein Vater hatte mir fünfzehnhundert Reichstaler versprochen. Das ist zur selbigen Zeit eine große Mitgift gewesen. Als es gegen die Hochzeit gegangen war, hat mein seliger Vater einen Boten gedungen, den hat man den Fisch geheißen, und dem hat mein Vater meine Mitgift auf den Buckel geladen, um sie nach Stadthagen zu tragen. Dort hat mein Schwiegervater Nathan Spanier – der Friede sei mit ihm – gewohnt. Ich und mein Bote Fisch haben uns auf die Füße gemacht und sind nach Stadthagen gegangen. Damals ist Reb Loeb« – dessen ich in meinem ersten Buch gedacht habe – »in Stadthagen gewesen, denn er ist auch der Schwiegersohn meines Schwiegervaters gewesen. Wie ich unweit von Stadthagen gekommen bin, ist ein Lärm geworden, daß der Bräutigam nicht weit wäre, und Reb Loeb – er ruhe in Frieden – ist mit seiner Gesellschaft hinausgeritten, dem Bräutigam entgegen. Reb Loeb ist von Hildesheim gewesen, von Leuten, die sich allezeit gar prächtig gehalten haben. Wie er nun zum Bräutigam kommt, trifft er ihn mit seinem Boten, dem Fisch, beide zu Fuß. Also ist Reb Loeb – er ruhe in Frieden – wieder hineingeritten und sagt der Braut das Botenbrod[2]:

  1. Stuttgart.
  2. Das Botenbrot, der Lohn für die Botschaft, ist hier statt des Wortes Botschaft selbst gebraucht.
Empfohlene Zitierweise:
Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_053.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)