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daß weder hin noch her jemand gegangen ist. Also hat der ehrliche, wackere, redliche Junge in jungen Jahren sein Ende nehmen müssen. Anstatt seinen Hochzeits- und Ehrentag zu begehen, hat er in die finstere Erde kriechen müssen und so schuldlos. Mein Gott, wenn ich noch daran denke, stehen mir die Haare zu Berge, denn er ist ein recht fromm, gottesfürchtig Kind gewesen, und hätt ihm Gott sein Leben gegönnt, wäre er zu großen Dingen gekommen und es wäre für uns auch gut gewesen. Gott weiß, wie herzlich es mich und meinen Mann – das Andenken des Gerechten zum Segen – geschmerzt hat und welche Nöten wir ausgestanden haben, wie weiter folgen wird.

Wie er nun nicht lange dagelegen ist und sich in seinem jungen Blut gewälzt hat, sind Leute von Hildesheim herausgegangen und haben ihn leider so elendiglich gefunden und haben ihn bald erkannt, denn er ist in der ganzen Umgegend gar bekannt gewesen. Also haben sie dafür gesorgt und ihn bald beerdigt. Welcher Kummer und welches Wehklagen in der ganzen Umgegend war, kann man nicht genug erschreiben. Aber was mag das alles helfen, seine jungen Jahre sind hinweg gewesen.

Man hat es von Hannover und Hildesheim bald an uns geschrieben, denn sie haben wohl gewußt, daß er – Gott räche sein Blut – Verbindung mit uns gehabt hat, und sie haben gemeint, daß er viel von uns bei sich gehabt hat. Aber er hat nichts bei sich gehabt als etliche Reichstaler Zehrgeld.

Nun, da wir die Briefe bekommen haben, bin ich mit meiner Tochter Mate – sie ruhe in Frieden – schwanger gewesen. Nun kann man sich wohl denken, wie mein Mann – das Andenken des Gerechten zum Segen – und ich von Schrecken ergriffen waren und welchen Kummer wir gehabt haben. Denn, wie schon gesagt, er ist gar ein frommer, ehrlicher Mensch gewesen und wir hätten große Geschäfte mit ihm machen können. Nun, alle Dinge, die geschehen sind, sind schon nicht zu ändern, und besonders, was Todesfälle sind, muß man alles dem Höchsten anheimstellen.

Empfohlene Zitierweise:
Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_072.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)