Seite:Glueckel 250.jpg

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ist? Und jetztund in diesem Augenblick, da du siehst, daß deine Seele von dir geht, und du kannst dir das Jenseits in einer Stunde kaufen, und dein Verdienst ist gar groß, wenn du Almosen gibst – und dennoch willst du nichts abbrechen von diesem Gelde, wiewohl du siehst, daß du es fremden Leuten und solchen, die sich nicht bemüht haben, es mit Gewalt geben mußt – und du gehst leer hinweg? Wie ist so eine befremdliche Sache je erhört gewesen? Und wolltest du in deinem Herzen denken, du hättest schon viel Almosen gegeben bei deinen Lebzeiten, vermeide diesen Gedanken, »denn eine Handvoll macht den Löwen nicht satt« und wahrlich, das ist nicht genug Zehrung für den großen weiten Weg, den du gehen mußt. Wie wir es auch in dem Traktat von den Ehekontrakten von dem großen Tanaiten Mar Ukba – er ruhe in Frieden – finden. Wie es auch allen Menschen bekannt ist, was er bei seinen Lebzeiten für Gutes getan hat. Dennoch hat er in seiner Todesstunde gesagt: »Was für einen weiten Weg habe ich zu gehen und wie wenig Zehrung hab ich mitzunehmen!« Da ist er aufgestanden und hat von allem, was ihm gehört, die Hälfte als Almosen gegeben, wiewohl unsere Weisen seligen Angedenkens sagen, daß der Mensch nicht mehr als den fünften Teil von dem Seinigen weggeben soll. Das ist aber gesagt, so lange ein Mensch am Leben und frisch und gesund ist. Aber in seiner Sterbestunde mag er sogar alles, was er hat, hingeben, denn der Mensch ist sich selbst am nächsten. Nun, denkt sich der Mensch, der Mar Ukba ist einer von den stärksten Tannenbäumen gewesen in unserer heiligen Thora, der hat also getan. Was sollen nun in diesen Geschlechtern gewöhnliche Menschen tun? Darum soll ein jeder ein kluger besonnener Mensch sein und soll für sich und seine Seele einen hübschen Anteil wählen, denn dein Leben ist dir das Nächste. Denn was hilft und nützt es der betrübten Seele, wenn einer alles, was er hat und um das er lange gearbeitet und sich gemüht hat, seinen Kindern hinterläßt, und er wird in die Grube in den tiefsten Staub der Unterwelt geworfen, und seine Herrlichkeit verwandelt sich in

Empfohlene Zitierweise:
Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_250.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)