Seite:Glueckel 306.jpg

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Sabbat und Wochenfeste im Jahre 1715, als wir waren im Bethaus, Männer und Frauen und der Vorbeter, der große Sänger Jokel aus Rzeszow in Polen hat angefangen zu beten das Morgengebet, dort wo die Erinnerung an die Schöpfungsgeschichte vorkommt, und sang mit seiner schönen Stimme von der Stelle, die beginnt: »O Gott, mit deiner großen Kraft« bis zu dem Segensspruch: »Der die Lichter erschafft« und bevor er diesen Segensspruch begonnen hat, haben die meisten Männer und Frauen Geräusche gehört, als wenn etwas einbrechen würde und es ist gar sehr ein Gerumpel gewesen. Die Weiber oben in der Synagoge haben gemeint, das ganze Gewölbe wird einbrechen und auf sie fallen. Infolge dieses großen Schreckens und dieser Furcht, die über alle Männer und Frauen gekommen war, wegen dem großen Lärm und Gerumpel wie von Steinen, als wenn ein großes Gebäude zusammenbricht, ist der Schreck gar groß gewesen. Darum haben sich die Weiber oben in der Synagoge geeilt und wollten heruntergehn. Eine jede wollte gern die erste sein, um ihr Leben zu retten. Die einen sagen so, die andern so – Männer und Weiber! Als die Weiber das große Getümmel in der Männersynagoge hörten, sind sie erschrocken und bestürzt hinausgelaufen und die Weiber meinten, es seien – Gott bewahre – Feinde über uns gekommen und damit sich jede einzelne ihr Leben retten kann und das Leben ihres Mannes, sind alle Frauen mit Gewalt aus der Weibersynagoge hinausgelaufen bis auf die Treppe und dadurch, daß eine jede der andern gern vorgehen wollte, sind sie – Gott bewahre uns – eine über die andere gefallen und eine hat die andere mit den Sohlen, die sie an den Füßen gehabt hat, ums Leben gebracht. In der Zeit von einer halben Stunde sind sechs Frauen getötet worden und mehr als dreißig Frauen waren blessiert worden, zum Teil bis auf den Tod, so daß sie mehr als ein Vierteljahr unter den Händen von Balbierern gewesen sind.

Wenn sie in der Ordnung heruntergegangen wären, wäre keiner etwas geschehen. Eine alte blinde Jüdin ist nebbich

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Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_306.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)