Seite:Glueckel 308.jpg

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ist, daß man sechs Tote unter den Lebendigen herausgezogen hat, welche noch vor einer Stunde frisch und gesund gewesen sind. Gott soll sich weiter erbarmen und seinen Zorn von uns und ganz Israel abtun.

Die Weiber aus der untersten Weibersynagoge sind auch in großem Gedränge gelegen. Ich, Mutter, bin auf meinem Platz in der untersten Synagoge gesessen und habe mein Gebet getan. Indem hör ich ein Gelaufe von den Weibern, da frag ich: »Was bedeutet dieses Gelaufe?« Sagt meine Nachbarin: »Was wird es bedeuten? Es wird einer tragenden Frau übel geworden sein.« Also hab ich mich gar sehr erschreckt, weil meine Tochter Esther, sie lebe, auch schwanger gewesen ist, welche wohl acht Stände von mir entfernt gesessen ist. Also komme ich in dem großen Gedränge zu ihr, wie sie sich auch hinausdrängen will. Also sag ich zu meiner Tochter: »Wo willst du denn hin?« Antwortet sie mir: »Um Gottes willen, das Gewölbe will einfallen!« Also nehme ich meine Tochter vor mich und mache mit meinen Händen, daß ich Platz bekomme, daß ich meine Tochter, sie lebe, als fortbringe. Da muß man aus der Weibersynagoge fünf oder sechs Treppchen steigen. Wie ich mit meiner Tochter auf die unterste Treppe komm, fall ich nieder und hab gar von nichts gewußt, auch mich gar nicht bewegt oder um Hilfe gerufen. Und über den Platz, wo ich gelegen bin, haben alle Männer gehen müssen, die zu den Weibern auf der Treppe von der obersten Synagoge wollten. Und wenn es wirklich noch einen Augenblick gewährt hätte, wäre ich zertreten gewesen. Aber endlich haben mich die Männer gesehen und mir aufgeholfen, daß ich auf die Gasse gekommen bin. Da hab ich zu schreien angefangen, weil ich nicht gewußt hab, wo meine Tochter Esther hingekommen war. Da hat man mir gesagt, sie wär in ihrem Haus. Da hab ich jemanden hingeschickt, um zu sehen, ob sie dort ist, aber die Antwort bekommen, daß sie nicht in ihrem Hause ist. Ich bin herumgelaufen wirklich wie einer, der, Gott bewahre, von Sinnen ist. Da kommt meine Tochter Mirjam, sie lebe, zu mir zu laufen und freut sich nebbich, daß sie mich sieht. Sag ich zu ihr: »Wo ist

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Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_308.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)