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meine Tochter Esther?« Sagt sie zu mir: »Im Hause ihres Schwagers Reb Ruben«, welches nicht weit von dem Bethaus gewesen ist. Lauf ich flugs nach dem Haus des erwähnten Ruben. Da find ich meine Tochter Esther sitzen, wirklich ohne Kleider und Schleier, und es stehen einige Männer und Weiber bei ihr, die sie in ihrer Ohnmacht laben.

Nun, was soll ich mich dabei aufhalten. Gott sei Dank, daß er ihr mit Gesundheit geholfen hat, daß es, Gott sei Dank, ihr und ihrem Kind keinen Schaden getan hat. Gott – er sei gelobt und sein Name sei gelobt – wolle weiter seinen Zorn von uns und von ganz Israel abtun und uns vor solchen bösen Ereignissen weiter behüten.

Danach ist man oben in die Weibersynagoge gegangen und hat untersucht, ob etwas von dem Gewölbe oder dem Gebäude heruntergefallen ist, sei es von der Weibersynagoge oder der Männersynagoge. Man hat aber gar nichts gefunden und wir können auch nicht wissen, wo die böse Ursache hergekommen ist. Wir können solches nicht anders erklären als durch unsere Sünden. Wehe uns, daß es uns in unseren Tagen so erging. »Von dem, was unsere Ohren hören, tut uns die Seele weh«, daß sich an uns der Satz erfüllt: »Ich werde Feigheit in ihr Herz legen, die Stimme eines rauschenden Blattes wird sie verfolgen und sie werden fliehen wie man das Schwert flieht, und fallen, da sie niemand verfolgt. Einer soll über den anderen stürzen, als wenn das Schwert hinter ihm wäre und fallen, da sie niemand verfolgt.« Und darüber tut das Herz weh und die Augen verdunkeln sich über die Entweihung des Sabbats und des Feiertages und über die Andachtslosigkeit im Gebete. Wie der Prophet sagt: »Wer verlangt das von euch ...«

An diesem heiligen Tage, an dem die heilige Thora gegeben worden ist und an dem wir auserwählt wurden von allen Völkern und Sprachen! Und wenn wir die Gunst gefunden hätten, hätten wir uns gefreut mit der Freude der Verleihung der Thora, der heiligen Schrift Gottes. Und jetzt sind wir vor unseren Nachbarn zur Schande, Spott und Hohn vor unserer Umgebung, als ob der Tempel in unseren Tagen

Empfohlene Zitierweise:
Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 309. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_309.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)