Seite:Goethe Götz von Berlichingen WA Bd 8 043.jpg

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Weislingen. Ihr seid zu streng, Maria! Unschuldige Liebe erfreut die Gottheit, statt sie zu beleidigen.

Maria. Es sei! Aber ich bin nicht dadurch erbaut. Man lehrte mich: Liebkosungen sein wie Ketten, stark durch ihre Verwandtschaft, und Mädchen, wenn sie liebten, sein schwächer als Simson nach Verlust seiner Locken.

Weislingen. Wer lehrte euch das?

Maria. Die Äbtissin meines Klosters. Bis in mein sechzehntes Jahr war ich bei ihr, und nur mit euch empfind’ ich das Glück, das ich in ihrem Umgang genoß. Sie hatte geliebt, und durfte reden. Sie hatte ein Herz voll Empfindung! Sie war eine vortreffliche Frau.

Weislingen. Da glich sie dir! (Er nimmt ihre Hand.) Wie wird mir’s werden, wenn ich euch verlassen soll!

Maria (zieht ihre Hand zurück). Ein bißchen eng, hoff’ ich, denn ich weiß wie’s mir sein wird. Aber ihr sollt fort.

Weislingen. Ja, meine Theuerste, und ich will. Denn ich fühle welche Seligkeiten ich mir durch dieß Opfer erwerbe. Gesegnet sei dein Bruder, und der Tag an dem er auszog mich zu fangen!

Maria. Sein Herz war voll Hoffnung für ihn und dich. Lebt wohl! sagt’ er bei’m Abschied, ich will sehen daß ich ihn wieder finde.

Empfohlene Zitierweise:
Johann Wolfgang von Goethe: Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand. Weimar: Hermann Böhlau, 1889, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Goethe_G%C3%B6tz_von_Berlichingen_WA_Bd_8_043.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)