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Fleh’ um gutes Gedeih’n zu den Göttern. Wenn das du errungen,

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Dann erkennst du unsterblicher Götter und sterblicher Menschen

Wesen; auch, wie Alles zergeht und wie es regiert wird;
Auch nach Gebühr[1] erkennst du der Schöpfung allgleiche Gestaltung.
Dann trügt nimmer dein Hoffen, da klar du Jegliches kennest,
Dann erkennst du, daß eigene Schuld die Leiden bereitet,

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Thoren, da nicht sie erkennen das Glück, ob auch Allen so nahe,

Noch es versteh’n; nur Wenige kennen des Uebels Erlösung.
Solche Verblendung schadet der Menschen Sinn; gleich dem Rade
Eilen sie hierher und dorthin und finden der Leiden kein Ende.
Denn es schadet versteckt die Zwietracht, die leid’ge Gefährtin;

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Hüte dich wohl, sie je zu erwecken, entweich’ ihr und fliehe!

Vater Zeus! Unzähligen Leid’s wär’ Jeder entledigt,
Wenn du uns lehrtest, was für ein Geist[2] wohl Jeglichem eigen!
Du[3] verzage nicht, da ja göttlichen Stammes die Menschen;
Ihnen erschließt die heil’ge Natur[4] und lehret sie Alles[5].

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Hast du Antheil daran[6], beherrschest du, was ich befohlen,

Wahrst auch geläuterten Sinn’s vor diesen Leiden[7] die Seele.
Doch[8] der bezeichneten Speisen enthalt’ dich, prüfend in Weihen,
Wann die Seele sich löst, erwäge jegliche Vorschrift[9],
Stell’ an vorderster Reih’ die Vernunft als sichersten Lenker;

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Wann du die Hülle gestreift, dich zum freien Aether emporschwingst,

Wirst unsterblich du sein, unvergänglichen, göttlichen Wesens.


  1. In soweit es dem Menschen möglich ist und der Einzelne es verdient.
  2. D. i. wenn Jeder Selbstkenntniß besäße.
  3. Du, der du nach Erkenntniß deiner selbst (und des Göttlichen) strebst.
  4. Die durch die Philosophie gewonnene Erkenntniß.
  5. Zunächst Wahrheit und Erkenntniß, die einzig wahren Güter.
  6. An den wahren Gütern, deren Erlangung nur der Weise fähig ist.
  7. Die Leiden, welche die Leidenschaften verursachen.
  8. In Rücksicht auf den innigen Zusammenhang des Körpers mit der Seele waren bestimmte Lustrationen und geheimnißvolle Weihen des Körpers vorgeschrieben; auch bestanden Vorschriften über Enthaltung von gewissen Speisen. Verboten war der Genuß der Bohnen, des Fleisches, insbesondere gewisser Theile von Thieren, z. B. des Herzens, wohl, weil der Genuß der Fleischspeisen vielfach zur Erregung sinnlicher Affekte beiträgt.
  9. Die Vorschriften, den Sinn und Zweck derselben.
Empfohlene Zitierweise:
Pythagoras: Die Goldenen Sprüche des Pythagoras. Thein, Würzburg 1862, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Goldene_spr%C3%BCche.pdf/11&oldid=- (Version vom 1.8.2018)