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Lindern darfst du dein Loos, so du kannst; doch sollst du erwägen:

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Nicht wohl beschert das Geschick der Leiden viele den Guten.

Viel des eitlen Gered’s und Worte besseren Inhalts
Höret der Mensch; du leihe das Ohr nicht jeglicher Rede,
Noch verschließ’ es jeglicher Red’. Wenn Lügen dich treffen,
Dulde gelassenen Sinn’s. Erfülle, was nun ich dir sage,

25
Pünktlich. Weder das Wort noch die That des And’ren verleit’ dich,

Solches zu thun, zu reden, was wider dein besseres Wissen.
Vor der That rathschlage mit dir, daß nicht albern sie werde;
Handeln ohne Bedacht und Reden ist Sache des Gecken;
Du vollbringe nur das, was später nicht Reue verursacht.

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Nie betreibe, was über dein Wissen; jenes erlerne,

Was zum Frommen dir ist; und so wird süß dir das Leben.
Noch auch versäume die Pflicht, des Leibes Wohl zu befördern;
Doch mit Maß nimm Speise und Trank und übe den Körper,
Das erkenn’ ich als recht, was nie dir Beschwerde verursacht.

35
Nie an Schmutz dich gewöhn’ im Leben, doch ohne zu schwelgen;

Hüte dich wohl, daß Solches du thust, was Neid dir verursacht.
Meid’ unzeitigen Prunk, wie gemeine Seelen es pflegen;
Meid auch schmutzigen Geiz; denn Maß ist bei Allem das Beste;
Thue nur das, was nicht Schaden dir bringt; überleg’, eh’ du handelst.

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Nie auch senke der Schlaf sich auf die matten Augen,

Ehe jegliches Werk des Tages du dreimal geprüfet:[1]
Wie ist gefehlt? was gethan? was wider die Pflicht unterlassen?
Also beim ersten beginn’, so must’re sie durch bis zum letzten.
Hast du Schlimmes verübt, bereu’ es; wenn Edeles, freu’ dich.

45
Deß[2] bestrebe dich wohl, betreib’ es mit Sorgfalt und lieb’ es,

Solches wird dich geleiten zur Spur der göttlichen Tugend;
Wahrlich, ich schwör’ es bei dem, der die Vierzahl[3] einschuf der Seele,
Ewigen Seins Urquell. Doch ehe das Werk[4] du beginnest,


  1. V. 41 lies: ..... zuvor du geprüfet. – (Ich hatte urspr. den Text vor Augen: ...... τρίς ἕxαστον ἐπελθεῖνedit. Tauchn. 1814).
  2. D. i. die bisher vorgetragenen Grundsätze und Lebensregeln beobachte genau.
  3. Der Grundsatz der pyth. Philos. ist in dem Satz ausgesprochen: Alles ist Zahl d. h. alle Dinge sind nicht blos nach Zahlen geordnet, sondern sie bestehen aus Zahlen als ihrem substantiellen Wesen. Seine nähere Bestimmung erhält nun jener Satz, indem die Bestandtheile der Zahl selbst unterschieden und in den Dingen nachgewiesen werden. Dieß aber sind das Gerade und das Ungerade, welche Philolaus auf den höheren Gegensatz des Begrenzten und Unbegrenzten zurückführt. Sofern Alles Zahl ist, so ist auch Alles ebenso wie die Zahl selbst aus Ungeradem und Geradem (Begrenztem und Unbegrenztem) zusammengesetzt. Nächst der Einheit, dem Zwei, als der ersten geraden, und dem Drei, als der ersten ungeraden Zahl, schrieben sie der Zehnzahl und ihrer Wurzel, der Vierzahl, weil 1 + 2 + 3 + 4 = 10, besondere Bedeutung zu (so Pauly s. v. Pythagoras).
  4. D. h. das ganze Geschäft deiner geistigen Läuterung und Vervollkommnung.
Empfohlene Zitierweise:
Pythagoras: Die Goldenen Sprüche des Pythagoras. Thein, Würzburg 1862, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Goldene_spr%C3%BCche.pdf/9&oldid=- (Version vom 1.8.2018)