Seite:Gottlob Frege, Ueber Begriff und Gegenstand, 1892.pdf/7

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

auf diesen Fall bezieht sich mein Kennzeichen nicht. Beim Singular ist die Sache, soviel ich sehe, nur dann zweifelhaft, wenn er statt des Plurals steht, wie in den Sätzen: „der Türke belagerte Wien“, „das Pferd ist ein vierbeiniges Thier“. Diese Fälle sind so leicht als besondere zu erkennen, dass unsere Regel durch ihr Vorkommen an Werth kaum einbüsst. Es ist klar, dass im ersten Satze „der Türke“ Eigenname eines Volkes ist. Der zweite Satz ist wohl am angemessensten als Ausdruck eines allgemeinen Urtheils aufzufassen, wie: „alle Pferde sind vierbeinige Thiere“, oder: „alle wohlausgebildeten Pferde sind vierbeinige Thiere“, wovon später noch die Rede sein wird[1]. Wenn nun Kerry mein Kennzeichen unzutreffend nennt, indem er behauptet, in dem Satze „der Begriff, von dem ich jetzt eben spreche, ist ein Individualbegriff“ bedeute der aus den ersten acht Wörtern bestehende Name sicherlich einen Begriff, so versteht er das Wort „Begriff“ nicht in meinem Sinne, und der Widerspruch liegt nicht in meinen Festsetzungen. Niemand kann aber verlangen, dass meine Ausdrucksweise mit der Kerry’s übereinstimmen müsse.

Es kann ja nicht verkannt werden, dass hier eine freilich unvermeidbare sprachliche Härte vorliegt, wenn wir behaupten: der Begriff Pferd ist kein Begriff[2], während doch z. B. die

Empfohlene Zitierweise:
: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, 16. Jahrgang. O. R. Reisland, Leipzig 1892, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gottlob_Frege,_Ueber_Begriff_und_Gegenstand,_1892.pdf/7&oldid=- (Version vom 1.10.2017)
  1. Man ist jetzt, wie es scheint, geneigt, die Tragweite des Satzes zu übertreiben, dass verschiedene sprachliche Ausdrücke niemals vollkommen gleichwerthig seien und dass ein Wort nie genau in einer andern Sprache wiedergegeben werde. Man könnte vielleicht noch weiter gehen und sagen, nicht einmal dasselbe Wort werde von Menschen einer Sprache ganz gleich aufgefasst. Wieviel Wahrheit in diesen Sätzen ist, will ich nicht untersuchen, sondern nur betonen, dass dennoch nicht selten in verschiedenen Ausdrücken etwas Gemeinsames liegt, was ich den Sinn und bei Sätzen im Besondern den Gedanken nenne; mit andern Worten: es darf nicht verkannt werden, dass man denselben Sinn, denselben Gedanken verschieden ausdrücken kann, wobei denn also die Verschiedenheit nicht eine solche des Sinnes, sondern nur eine der Auffassung, Beleuchtung, Färbung des Sinnes ist und für die Logik nicht in Betracht kommt. Es ist möglich, dass ein Satz nicht mehr und nicht weniger Auskunft als ein anderer gibt; und trotz aller Mannigfaltigkeit der Sprachen hat die Menschheit einen gemeinsamen Schatz von Gedanken. Wenn man jede Umformung des Ausdrucks verbieten wollte unter dem Vorgeben, dass damit auch der Inhalt verändert werde, so würde die Logik geradezu gelähmt; denn ihre Aufgabe ist nicht wohl lösbar, ohne dass man sich bemüht, den Gedanken in seinen mannigfachen Einkleidungen wiederzuerkennen. Auch jede Definition wäre als falsch zu verwerfen.
  2. Aehnliches kommt vor, wenn wir mit Beziehung auf den Satz „diese Rose ist roth“ sagen: das grammatische Prädicat „ist roth“ [197] gehört zum Subjecte „diese Rose“. Hier sind die Worte „das grammatische Prädicat ‚ist roth‘“ nicht grammatisches Prädicat, sondern Subject. Gerade dadurch, dass wir es ausdrücklich Prädicat nennen, rauben wir ihm diese Eigenschaft.