Seite:Graesse Sagenschatz Sachsens II 045.jpg

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kaum einige Wochen, da starb des alten Schneiders Bruder, der Müller in der Bockmühle. Es wurde zur Leiche geläutet, der Zug kam den Mühlberg herauf, hielt vor des Schneiders Hause still, die Schule und die Geistlichkeit voran, und sie sangen dieselben zwei Lieder und die Arie, wie er damals gehört, und dieselben Leute, die er damals gesehen, gingen hinter dem Sarge her. Der alte Wächter aber stand an der Kirchhofsmauer, sah den Schneider bedeutungsvoll an und weinte bitterlich, so daß die Leute nicht begreifen konnten, wie ihn der Leichenzug so alterirte, der ihn doch nichts anging. Der hatte aber seinen guten Grund dazu, denn in demselben Jahre noch brannte fast die ganze Stadt ab und des alten Schneiders Haus auch.


640) Der Köhler von Klingenthal.
Metrisch beh. v. Hager a. a. O. H. II. S. 13.

Vom Kirchhofe zu Klingenthal bis an den naheliegenden Wald geht jede Nacht um die zwölfte Stunde ein gespenstiger Schatten eine Leuchte in der Hand. Das Volk erzählt sich hierüber folgende Geschichte. Es soll einst im Dorfe Klingenthal ein Köhler gewohnt haben, der jede Nacht von der Seite seiner treuen Hausfrau aufstand, um angeblich im Walde nach seinem Meiler zu sehen. Die wahre Ursache war aber, daß er im Busche zu einer dort wohnenden Concubine schlich. Einst ging er auch in finsterer Nacht die Leuchte in der Hand den wohlbekannten Weg, da folgte ihm sein Weib, die er schlafend glaubte, und warf ihm geradezu sein Vergehen vor. Er wollte es zwar anfangs leugnen, allein bald gab ein Wort das andere, er ward heftig, schlug seine rechtschaffene Frau nieder und begab sich zu seinem Kebsweibe. Als er mit dieser im besten Kosen begriffen war, öffnete sich plötzlich die Thür und sein Weib stürzte herein und traf die Schuldigen auf offener That. Jetzt halfen keine Vorstellungen mehr, er mißhandelte sie abermals und warf sie zur Thür hinaus mit der Drohung, sie in den brennenden Meiler zu

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Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 2. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_II_045.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)