Seite:Graesse Sagenschatz Sachsens II 076.jpg

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Opferplatzes erbaut und der Altar unmittelbar über die heilige Quelle gesetzt. Um aber die heidnischen Slaven mit desto besserem Erfolge zu dieser Kirche zu bekehren, erlaubte man sich den frommen Betrug, die auf dem Altar aufgestellten Heiligenbilder mit slavischen Gottheiten zu verschmelzen. Man schrieb deshalb an das Gewand des h. Martin, welchem die Kirche geweiht war: ToR E WoR (d. h. Thor est voster, noster: er ist Euer und unser Thor) und auf das Kleid der in der Mitte stehenden Jungfrau Maria schrieb man: MARIA OM WRA EYA NORA E WORRA (d. h. Maria Om Vostra est, Yr nostra et vostra: die Maria ist Euere Om[1] und unsere und Euere Hira).


685) Die Bruderfichte bei Thossen.
Nach mündlicher Ueberlieferung bearbeitet von Julius Schanz.

Als der Herr Jesus noch auf der Erde wandelte, kam er auch einmal mit allen seinen Jüngern nach Sachsen und zwar in’s Voigtland. Gerade zu dieser Zeit schickte der liebe Gott einen recht starken Regen, und weil der Herr und seine Jünger keine Regenschirme hatten, wurden sie arg durchnäßt.

Die Apostel sahen sich deshalb nach Schutz um. Da erblickte Einer einen hohen, breiten Fichtenbaum, der frei im Felde stand. „Ei,“ sagte er, „laß uns, o Herr, unter des Baumes Aeste treten und den Regen vermeiden“.

Der Herr aber sah ihn mit seiner gewohnten Freundlichkeit an und erwiderte: „Der uns den Regen gesandt, wird darnach auch Sonnenschein senden“.

Der Jünger des Herrn meinte aber doch, es sei besser, jetzt zu thun, was man könne, als von Hoffnung zu leben.


  1. Hom wird unter den ältesten Genien der Zend-Avesta der Baum des Lebens genannt und Om ist noch jetzt der Buddhistische Begriff von der höchsten und heiligsten Intelligenz des Weltalls und über den Kreislauf der Seelenwanderung erhaben (S. Variscia Bd. IV. S. 57. Nork, Mythol. Wtbch. Bd. II. S, 236, Coleman, Mythology of the Hindus. Lond. 1832 p. 136) die höchste Gottheit, deren Namen man nicht laut aussprechen darf.
Empfohlene Zitierweise:
Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 2. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_II_076.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)