Seite:Graesse Sagenschatz Sachsens II 078.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

dem Schäfer nach. Als er seiner von ferne ansichtig wurde, schrie er wüthend: „du heuchlerischer Spitzbube, was suchst Du noch, wenn Du sie dem Fleischer verkauft hast?“ – Der Alte wußte nicht, wie ihm geschehen war, und betheuerte hoch und heilig seine Unschuld. Der Herr aber schrie und tobte und drohte ihm, noch heute all seine Habe zu nehmen, wenn er die gestohlenen Schöpse nicht ersetze. Du hub der Alte feierlich an: „Gott im Himmel, erzeige Gerechtigkeit Deinem unschuldigen Knechte!“ – Und er steckte seinen Stab in die Erde und schwur dreimal und sprach: „Dieser dürre Stab soll wurzeln, wachsen und gedeihen, wenn ich ohne Schuld bin. Ist aber der Diebstahl an mir, so zerfalle er jetzunder in Asche.“ – Als der Herr am andern Tage wieder auf denselben Platz kam, stand der Stock und hatte bereits Knospen und schlug aus. Er wuchs empor zu einem großen, seltenen Baum und steht bis auf diesen Tag, ringsum sichtbar, auf einer Hochebene, damit Jedermann sehe, wie der Herr die Unschuld beschützt.


687) Die Kiefer zu Steltzen.[1]
Curiosa Sax. 1737. S. 331. cf. Misander, Delic. Bibl. T. V. P. XVI. S. 471.

Steltzen heißt ein Dorf, welches in das Voigtsberger Amt gehört. Da hat einst einem Bauer geträumt, er solle nach Regensburg reisen, auf der dortigen Brücke werde er reich werden. Der Mann steht auf, nimmt seinen Ranzen mit etwas Viktualien von Brod und Butter, aber sehr wenigem Geld, weil er arm war, und geht fort nach Regensburg, spatziert etliche Tage auf der Brücke hin und her, es meldet sich aber kein Reichthum, er sucht immer auf der Erde einen Beutel mit Ducaten, aber vergebens, sieht deswegen Jeden mit betrübten Augen an und beschließt, wieder nach Hause zurückzukehren. Ehe er jedoch seine Reise antritt,


  1. Diese Sage versetzt M. Scotus, Mensa philos. Frcft. 1602 L. IV. p. 287. nach Regensdorf bei Regensburg.
Empfohlene Zitierweise:
Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 2. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_II_078.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)