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691) Sage vom Fürstensaale in Neuendorf.
Nach mündlicher Ueberlieferung bearbeitet von Julius Schanz.

Zur Zeit Kaiser Friedrichs II., ungefähr um das Jahr 1227, war auch im Voigtlande ein reges Leben und Treiben. Vor Allem war das Schloß Neuendorf, dessen Besitzer die Grafen von Reibold waren, der Sammelplatz der jungen Ritter in der Umgegend; denn hier wohnte ein wunderschönes Fräulein, mit Augen so blitzend wie Diamanten, mit Wangen so blühend wie Rosen, mit Haaren so blond wie Gold. Doch im schönen Körper wohnte auch eine schöne Seele. Sanft wie das einer Taube war ihr Gemüth, der Adel ihres Geistes strahlte aus den blauen Augen und verklärte ihr Angesicht, daß sie Allen wie ein Engel in Menschengestalt erschien. Kein Wunder also, wenn Tag für Tag das Schloß ihres Vaters voll von jungen Rittern war, die sich an sie herandrängten, um nur einen Blick aus ihren schönen blauen Augen zu erbeuten und dafür ihr ganzes Herz ihr vor die Füße zu legen. Doch, nur Einer hatte ihr Herz gewonnen und ihn liebte sie mit der ganzen Gluth, welche dem tiefen Gemüthe der Frauen eigen ist und welche täglich durch den Gedanken, daß man wieder warm und feurig geliebt werde, zu immer größeren Flammen angefacht wird. Der Glückliche, der der Reinen Herz gewonnen hatte, war der junge Graf Otto von Stubenberg. Er war von Gestalt ein Adonis, braune Locken fielen wallend auf seine Schultern herab und sein Wuchs war hoch und schlank wie eine junge Eiche. Sein Auge war feurig, denn in ihm wohnte ein wackrer und muthiger Geist, der für das Edle entflammt war und in dem mit glühenden Zügen eingegraben stand: „Gott und mein Recht!“ – Sein Arm war stark und in allen Gauen des Voigtlandes wußte Keiner so gut das Schwert zu schwingen oder die Lanze im Turniere zu führen, wußte Keiner so gut in den dunklen Forsten den Eber zu erlegen oder den Bären darniederzuwerfen als Otto von Stubenberg. Sein ganzes Wesen verklärte wie die

Empfohlene Zitierweise:
Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 2. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_II_082.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)