Seite:Graesse Sagenschatz Sachsens II 091.jpg

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eine liebte, Brunhilda, die jüngste von den Dreien. Und er ward sichs bewußt, daß wenn er die eine erwähle, er das Herz der andern brechen würde, und er kämpfte mit aller Kraft seiner edlen Seele den schwersten Kampf, den Tugendkampf der Entsagung.

Ohne Säumen nahm er Abschied von den Dreien und weihte sich zum Ritter für das heilige Grab des Heilands. Die Fräulein aber winkten ihm von der Zinne des Schlosses mit ihren Tüchern Lebewohl nach und schwuren im Angesicht Gottes und bei der Dornenkrone des Heilands, sich zu Himmelsbräuten zu weihen und nie wieder einen Mann zu lieben. Sie wollten sich von einander trennen und gesondert wohnen, und wenn eine von ihnen stürbe, solle ein Tüchlein von ihrer Kapelle ins Thal hernieder wehen, den andern zum Zeichen der Trauer. Der aber, die einem Manne Gehör schenke, solle dieses Zeichen nicht werden, ihre Kapelle solle die rächende Gottheit in Schutt und Trümmer werfen.

Anna baute die Kapelle am Grüneberg bei Eger, Maria das Kirchlein in Kulm und Brunhilda die Kapelle auf dem Kapellenberg bei Schönberg.

Schon sah man im Laufe eines halben Jahrhunderts zweimal das Tüchlein wehen, vom St. Annenstift und von dem Kulmer Berge: Anna und Maria waren gestorben, nur Brunhilda waltete noch als greise Nonne in ihrem Kirchlein. Da schwankte einst, es war im Herbste, ein greiser Pilger die Höhe des Berges herauf, dessen Mantel und Gürtel von einem Sarazenenpfeil zusammen gehalten wurden, auf den Schultern aber trug er ein rothes Kreuz. Er machte an der klaren Quelle vor dem Kirchlein das Zeichen der Weihe und kniete dann nieder, um zu beten. Da trat Brunhilda hervor und als sie den Pilger gewahr wurde, erkannte sie im Augenblicke die Züge ihres tapferen Helden. Ihren Eid vergessend sank sie in seine Arme und stürzte betäubt mit ihm zu Boden.

Da erhob sich ein brausender Sturm und das Glöcklein begann so schrill zu ertönen und durch die Luft vernahm man geisterhafte Worte von der Erfüllung ihres Schwures

Empfohlene Zitierweise:
Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 2. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_II_091.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)