Seite:Graesse Sagenschatz Sachsens II 148.jpg

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„Eine schöne Bescherung!“ seufzte Toffel mit kläglichem Blick auf seine Freunde, „höre um des Himmels willen auf, Lob, mir stehen die Haare zu Berge!“

„Mir auch,“ betheuerte Ehr’gott, dem eben eine Fledermaus an die Nase geflogen war.

Der Lieb wollte auch etwas hinzufügen; doch blieb ihm das Wort im Munde stecken, als er plötzlich von hinten einen wohlgezielten Stoß von einem der schwarzen Böcklein erhielt. Es ist wahr, ein wohlausgetragenes Neukircher Kind läßt sich nicht so leicht verblüffen, und Lieb war ein solches Kind. In der Schenke hätte er den Stoß mit einem Faustschlage vergolten, der allenfalls einen Ochsen niedergestreckt haben würde; aber heute schien es ihm doch rathsam, dem Angriff nur passiven Widerstand entgegenzusetzen.

Lob war jetzt am Ende seiner Beschwörung und hätte mit dem glänzenden Erfolge derselben sehr zufrieden sein dürfen, wenn nicht plötzlich der hinkende Bote nachgekommen wäre und eine früher übersehene Anmerkung in dem Buche ihn belehrt hätte, er müsse, um seine Gäste wieder in die Ofenpfanne zurückzubannen, die Zauberformel – rückwärts lesen.

Rückwärts lesen! Der arme Lob kratzte sich in höchster Verlegenheit hinter seinen ansehnlichen Ohren – er hatte zwar im Katechismus und Gesangbuch vorwärts lesen gelernt, aber rückwärts lesen hatte ihn sein alter Schulmeister nicht gelehrt.

Große Verlegenheit! Lob theilte seinen Freunden den kitzlichen Uebelstand mit, die sich nun ebenfalls hinter den Ohren kratzten, – ein Ausdruck der Verlegenheit, durch den ermuthigt das anwesende Gethier anfing, strategisch ganz vorzügliche Angriffe auf die Beschwörer zu unternehmen. Der enge Raum wurde zum Schauplatz eines hartnäckigen Kampfes, und je eifriger die Angegriffenen bemüht waren, ihre Gegner von sich fern zu halten, desto häufiger und energischer arbeiteten die Hörner der Böcklein an ihren Rippen. Stoß auf Stoß erfolgte, und dabei meckerten die Bestien boshaft einander

Empfohlene Zitierweise:
Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 2. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_II_148.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)