Seite:Graesse Sagenschatz Sachsens II 167.jpg

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ich sie befragte. Uebrigens war diese Dame Jedermanns Feind und fand ein Vergnügen darin, Andere zu ärgern und ihnen Possen zu spielen. Dagegen war sie eine große Hundefreundin und ließ einem ihrer Lieblinge in ihrem Garten eine Kreuz auf sein Grab setzen, was sie jedoch wieder entfernen mußte. Man erzählt sich aber, ihre Seele könne keine Ruhe finden und sie gehe zu und bei Schmochtitz (?)[1] und Plauen noch jetzt um und zwar in derselben Kleidung, in welcher ich sie unzählige Male gesehen habe, nämlich mit einem großen weißen, gelbgetippelten Atlashut, einem dergl. Atlasmantel, der einst weiß oder weißgrau gewesen war, aber weil er sehr oft naß geworden war, fast gelb aussah, und in großen Knöchelschuhen oder Filzschuhen, welche sie Sommer und Winter zu tragen pflegte. Eine besondere Eigenheit von ihr war, daß sie nie eingestehen wollte, daß eine Dienstperson ihr nicht gehorchte oder sie betrog. So hielt sie zwei Wächter, einen ältern und einen jüngern, welche des Nachts in ihrem Hause zur Bewachung schlafen sollten, der jüngere ging aber gewöhnlich nur eine kurze Zeit hin und lief dann wieder weg. Als ihr dies nun einst von der vorhin genannten Dienerin angezeigt ward, versetzte sie gleich: „weißt Du nicht, ob dies nicht mit meiner Bewilligung geschehen ist?“ Uebrigens trieb sie auch geheime Wissenschaften und oft hörten ihre Leute sie in ihrem Zimmer, trotzdem daß Niemand außer ihr darin war, laut sich mit Jemand unterreden und dieser Jemand antwortete, wenn sie aber hineinkamen, war Niemand da. Ihre höchst interessanten Briefe sind laut ihres Testamentes nach ihrem Tode verbrannt worden: sie bekam täglich Schreiben aus allen Theilen Europas und beantwortete sie auch, allein Keiner ihrer Leute – sie hatte nur weibliche Bedienungen – sah je eine Adresse an sie oder von ihr, sie hatte eine Brieftasche, in welche sie die von ihr geschriebenen Briefe legte und selbige dann verschloß: so schickte oder trug sie selbige nach Dresden, ein von


  1. Die weiße Frau, die sich selbst bei Tage auf der Straße zwischen der Viehwalze und Salzenforst sehen läßt, kann sie nicht sein, denn diese sah man schon vor ihrem Tode.
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Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 2. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_II_167.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)