Seite:Graesse Sagenschatz Sachsens II 187.jpg

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begegnende Magd, sie zu kämmen und zu lausen und belohnte sie dann mit einer Schürze voll trocknen Laubes, das die Magd leider weg warf, denn zu Hause angekommen hatte sich ein am Schürzenband hängen gebliebenes Blatt in pures Gold verwandelt.


790) Das Mittagsgespenst.
Schmaler, Bd. II. S. 268. Köhler, der Czorneboh S. 48. Laus. Monatsschr. 1797. S. 744.

Das Mittagsgespenst (Pschipolnitza) ist ein weibliches, großgewachsenes weißgekleidetes Wesen, welches zur Mittagszeit von 12 bis 2 Uhr auf den Feldern zu erscheinen pflegt. Es schweift mit der Sichel bewaffnet über die Felder und steht unerwartet vor denjenigen, welche es versäumt hatten, Mittags die Feldarbeit zu unterlassen und nach Hause zu gehen. Die Ueberraschten mußten ein scharfes Examen über den Anbau des Flachses und das Leinwandweben bestehen und die ganze Procedur dieses Kulturzweiges ununterbrochen und in einer solchen Ausführlichkeit vortragen, daß damit die Zeit bis zwei Uhr ausgefüllt wurde. Hatte diese Stunde geschlagen, so war es mit der Macht desselben aus und es ging von dannen. Wußten aber die Geängstigten auf ihre Fragen nicht zu antworten und das Gespräch bis zu dieser Stunde nicht im Gange zu erhalten, so schnitt sie ihnen den Kopf ab oder erwürgte sie oder verursachte ihnen wenigstens eine mit Kopfschmerzen verbundene Krankheit. Bei trübem Himmel oder zur Zeit eines herannahenden Gewitters war man vor ihr sicher. Noch jetzt spricht man im Scherz zu demjenigen, welcher während der Mittagszeit ohne Noth auf dem Felde arbeitet: „fürchtest Du nicht, daß die Mittagsfrau auf Dich kommen wird?“ und die sprichwörtliche Redensart: „sie fragt wie die Mittagsfrau“, ist im alltäglichen Gebrauch.

Dieses Gespenst pflegt besonders in der Gegend von Diehsa am Fuße des dortigen Berges den Arbeitern auf dem Felde zu erscheinen und ihnen, wenn sie nicht reinen Herzens

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Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 2. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_II_187.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)