Seite:Graesse Sagenschatz Sachsens II 190.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

die starke, große Wurz, sowie das Blühmlein selbst vom puren Gold, Silver vndt köstlichem Gestein ist. Wer sich aber nit vest vndt sicher weiß, der berühr es ja nit; sonst verleuert er sein Leven. Wofür Gott behüt.“


792) Noch eine Sage von der Wunderblume auf dem Löbauer Berge.
Mitgetheilt von Julius Schanz.

Auf dem Löbauer Berge blüht in der Johannisnacht eine Blume, herrlich und schön, und wer sie pflückt, wird zum glücklichen Menschen. Der Stengel ist von grünem Smaragd, an dem Blätter von Rubin wachsen, die weithin durch den dunkeln Tannenwald leuchten. Alles aber übertrifft an Pracht ihr Kelch, der aus einem großen Diamant besteht, dessen Glanz den Mond und die Sterne verdunkelt und aus dem liebliche Gesänge emporsteigen, die zauberisch die stille Nacht durchklingen.

Von dieser Wunderblume erzählt man sich folgende Sage. Die Johannisnacht war auch in Löbau mit mancherlei Schwank und Scherz gefeiert worden, die Lichter erloschen allmälig in den Häusern, da trat ein Mädchen aus einer niedrigen Hütte, die einsam am Fuße des Löbauer Berges stand. Mit verweinten Augen blickte sie hinauf zu dem Sternenzelt und seufzte: „Wann wird mein armes Herz Ruhe finden!“ Vater und Mutter und Geliebter waren ihr kurz nach einander gestorben, und sie hatte heute Abend nach alter Sitte ihre Gräber geschmückt und an ihnen gebetet. Da ging sie durch das thauige Gras den Berg hinauf, und vor ihr schwebte ein Irrlicht, dem sie unbewußt folgte. Der Wald wurde immer dichter, die Tannen rauschten traulich in der Einsamkeit. Plötzlich sieht das Mädchen durch die Bäume hellen Glanz schimmern, sie eilt auf die Stelle zu und steht vor der Wunderblume.

So hatte sie ihr einst ihr Vater geschildert, als sie allabendlich das Köpfchen auf die Hände gestützt, seinen Erzählungen

Empfohlene Zitierweise:
Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 2. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_II_190.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)